Grün war die Hoffnung
einer Ratte schießt ihr durch den Kopf, kratzende Pfoten, starre Augen. Es muss der Kaffee gewesen sein. Und die Haferflocken. Wie ist sie nur auf den Gedanken gekommen, sich Haferflocken zu bestellen? Sie hätte Toast nehmen sollen, trockenen Toast, doch bei dem bloßen Gedanken daran – rauh, spröde, zerkaut, mit Speichel getränkt, im Schlund klebend – stürzt sie in eine der Kabinen, und plötzlich kommt alles hoch: der Kaffee, die Haferflocken, ein paar der Nudeln, die ihre Mutter gekocht hat, und sogar die letzten Reste des Onikoroshi-Sake, zuviel Sake und ursprünglich on the rocks.
Sogleich fühlt sie sich besser. Sie spült zweimal und sieht zu, wie das Wasser in der Schüssel wirbelnd abfließt, doch der Geruch hängt weiterhin in der Luft. Quietschend öffnet sich die äußere Tür, Schritte nähern sich mit scharfem, hochhackigem Klappern. Ihr erster Gedanke ist: Annabelle, doch das kann nicht sein, denn sie hat sie vor zehn Minuten angeregt mit Frazier plaudernd die Treppe hinuntergehen sehen. Vor mindestens zehn Minuten. Das Klappern kommt näher, und sie erstarrt, als der Türgriff gedrückt und dann losgelassen wird und die andere, wer immer es ist, die Tür der benachbarten Kabine schließt und sich mit einem Seufzer setzt. Gleich darauf ertönt das scharfe Zischen von Urin. Sie verlässt ihre Kabine, geht zum Waschbecken, fängt mit hohlen Händen etwas Wasser auf und spült ihren Mund aus. Sie wollte, sie hätte eine Zahnbürste oder wenigstens Pfefferminzpastillen, und nimmt sich vor, auf dem Weg zum Büro in einem der Geschäfte dort unten welche zu kaufen, und sie hätte gern kurz ihre Haare geordnet und etwas Lippenstift aufgelegt, wagt es aber nicht, denn die andere Frau reißt bereits geräuschvoll Toilettenpapier ab, und sie will nicht gesehen werden. Nicht jetzt. Nicht nachdem sie sich gerade übergeben hat. Und so geht sie hinaus und die Außentreppe hinunter. Sie wird sich auf der Toilette im Büro frisch machen und sich unterwegs eine Cola und vielleicht eine Tüte Cracker kaufen, um ihren Magen zu beruhigen. Und Pfefferminzpastillen, auf jeden Fall Pfefferminzpastillen.
Unterhalb des Restaurants, auf der Promenade, die am Yachthafen entlangführt, ist ein Laden für Touristen, in dem es alles mögliche gibt, von Tabletten gegen Seekrankheit, Sonnencreme und billigen Strohhüten für die Whalewatcher über Postkarten, T-Shirts und kitschige Puppen für die Landratten bis hin zu Softdrinks, Kaffee, fix und fertig verpackten Sandwiches, Cracker, scheibenweise eingeschweißtem Käse, Pfefferminzbonbons, Süßigkeiten, Zeitungen und dem ganzen Kram, den jeder täglich braucht. Sie will gerade hineingehen – ein Rudel metallisch glänzender Ballons, in papiernem Rot aus einer Styroporkugel sprießende künstliche Mohnblumen, Bügel mit wie zum Trocknen aufgehängten T-Shirts –, als sie innehält. An einem der weißen Plastiktische vor dem Laden sitzt, mit dem Rücken zu Alma, eine junge Frau, und das gleichmäßig kupferrot gefärbte Haar hängt ihr in Dauerwellen über Schultern und Rücken. Ist das nicht Alicia? Was macht sie hier? Mittagspause? Alma sieht auf die Uhr. Um halb elf?
Noch während sie überlegt, was sie tun soll – Ist es wirklich Alicia? Will sie sie wirklich zur Rede stellen, sie zusammenstauchen und fragen, warum sie während der Abwesenheit ihrer Chefin nicht im Büro ist, die Post öffnet und Anrufe entgegennimmt, Herrgott noch mal? –, verändert sich das Licht, als hätte jemand die Hand über die Linse einer Kamera gehalten, und ein Mann tritt rückwärts durch die Tür ins Freie, in den Händen ein Papptablett mit zwei Bechern Kaffee und einer Schachtel Doughnuts mit Puderzucker. Den kennt sie doch, oder? Der Ohrring, der Spitzbart, die Überraschung beim Anblick dieser blauen Augen im Gesicht eines Latinos – jedenfalls teilweise Latino oder Chicano oder Mestize oder wie immer man es nennen soll –, aber wer …?
Und dann fällt es ihr wie Schuppen von den Augen. Denn in diesem Moment erkennt er sie, und im selben Moment weiß sie, wer er ist, die Erinnerung kommt wie ein Blitz, und Alicia sieht sich über ihre Schulter nach ihm um. Alicia, deren Miene erstarrt, deren Blick sich zurückzieht. Alicia, die in sich zusammensinkt. Die entlarvte Alicia. Während er – Wilson, so heißt er, Wilson – ganz ungerührt ist. Er schlendert zum Tisch, stellt das Tablett ab und blickt zurück zu Alma, die wie angewurzelt an der Tür des Ladens steht, in dem sie
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