Grün war die Hoffnung
»Kann ich hier ganz gut gebrauchen, an diesem kühlen Abend an der kalifornischen Küste, wo ein armer Kerl aus den Bayous sich an dem wärmen kann, was ihr guten Leute ausstrahlt« – Pfiffe, Beifall –, »und dafür danke ich euch aus tiefstem Herzen.«
Er verbeugt sich und nimmt den Applaus entgegen, sein verschwitztes Haar fällt ihm in die Stirn, und als er sich aufrichtet und das Scheinwerferlicht sein Gesicht trifft, sieht sie, dass er grinst. »Aber heute abend haben wir was Besonderes für euch, und zwar hier aus Kalifornien« – er hebt die Hand, beschattet die Augen und späht ins Publikum –, »eine unglaublich talentierte Singer-Songwriterin, die mich bei meinem nächsten Stück begleiten wird. Anise? Wo bist du, Schätzchen?«
Das ist der Augenblick, in dem alles zu rauschen und zu wirbeln scheint, als wäre sie in einem Strudel gefangen, als würden sie und der ganze Block, in dem sie sitzt, in einem Abfluss versinken, ihre Mutter ist nur ein Trugbild, der hustende Mann ist fort, die Hipster mit ihren langen Jacken und Halstüchern und phototropen Brillengläsern verschwinden gurgelnd, und dann erhebt sich Anise von ihrem Platz in der ersten Reihe – wie hat sie sie nur übersehen können? –, gekrönt von einer pilzförmigen Wolke aus lockigem Haar. Und das ist noch nicht alles. Denn Dave LaJoy ist ebenfalls anwesend, er sitzt auf dem Platz neben Anise und klatscht Beifall, in den das Publikum sogleich einfällt. Wilson Gutierrez, sein Sitznachbar auf der anderen Seite, pfeift und stampft mit den Füßen, während Alicia ihr blasses, ausdrucksloses Gesicht zum Licht hebt, das von der Bühne strömt, und die Frau neben ihr mit dem ergrauenden Lockenschopf voller … Mutterstolz strahlt. Anises Mutter. Anise Reeds Mutter. Und bevor Alma das alles auch nur ansatzweise verarbeiten kann, steigt die unglaublich talentierte Singer-Songwriterin auf die Bühne, ihre nackten Füße beben, die Zehennägel schimmern, und aus den Kulissen eilt ein Helfer herbei und reicht ihr auf ausgestreckten Händen ihre Gitarre, als wäre diese eine Opfergabe.
Beinahe sechzig Jahre zuvor, als die Plätze des Lobero sich nach den mageren Kriegsjahren langsam wieder zu füllen begannen, brachte Almas Großmutter im St. John’s Hospital in Santa Monica ihr Kind zur Welt, ein gesundes Mädchen von sechseinhalb Pfund, das durch die Strapazen, denen seine Mutter auf Anacapa ausgesetzt gewesen war, keinen Schaden genommen zu haben schien. Beverly lebte bei ihrer Mutter, denn am Ende dieses ersten katastrophalen Monats, in dem sie Till in jeder Minute eines jeden Tages so sehr vermisst hatte, als wäre er wieder in den Krieg gezogen, konnte sie die Miete für die gemeinsame Wohnung nicht mehr bezahlen. So gab es nun zwei Witwen in dem Haus, in dem sie aufgewachsen war. Ihr Vater war seit zehn Jahren tot, ihre Mutter war den ganzen Tag auf den Beinen und stand in einem Lebensmittelgeschäft am Lincoln Boulevard an der Kasse, obwohl sie Krampfadern hatte und ihre Knöchel anschwollen, bis sie aussahen wie eine aus der Form geratene Schichttorte.
Als Beverly im Krankenhaus erwachte und die Schwester ihr das Baby brachte, glaubte sie zunächst an eine Verwechslung, so überzeugt war sie, ihr Kind müsse ein Junge sein: Tills Sohn, das Abbild seines Vaters, vom Himmel herabgekommen, um ihn zu vertreten, Till junior, der zu einem Mann mit zwei gesunden Armen heranwachsen würde. Sie hatte sich keinen Namen für ein Mädchen ausgedacht, doch als ihre Mutter, noch in Uniform, direkt von der Arbeit ins Krankenhaus kam und das Kind überglücklich in den Armen hielt, schoss ihr ein Name durch den Kopf: Matilda, sie würde ihre Tochter Matilda nennen, kurz Tillie. Sie sagte ihn laut in diesem hallenden Raum, sprach ihn für ihre Mutter aus, während ihre Zimmergenossin mit den beiden Zwillingssöhnen ruhig lächelnd zusah. »Tillie – was hältst du von Tillie?«
Ihre Mutter starrte dem Baby ins Gesicht, als stünde dort eine Botschaft aus einem unerforschlichen Reich, und schnalzte mit der Zunge. »Willst du wirklich für den Rest deines Lebens damit leben?« sagte sie, ohne aufzusehen.
»Womit leben?«
»Wenn du es nicht weißt, kann ich’s dir nicht erklären. Aber denk darüber nach. Denk einfach nach.«
Während der erste Tag gedämpft dahinging, während sie das Baby fütterte und ihm die Windeln wechselte und sie sich am nächsten Tag von einem Taxi nach Hause fahren ließ, wehrte sie sich störrisch gegen diesen
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