Grün war die Hoffnung
überzeugt, dass es nichts gab, wozu ihre Tochter nicht imstande war.
Darum legte sie jede Woche etwas von ihrem Lohn beiseite. Sie selbst hatte nicht aufs College gehen können. Ihren High-School-Abschluss hatte sie mitten in der Weltwirtschaftskrise gemacht, und danach, im Krieg, hatte sie in einer Rüstungsfabrik gearbeitet, aber sie hatte einen Kurs für Sekretärinnen besucht, und das hatte sich ausgezahlt. Als Kat in die erste Klasse kam, arbeitete Beverly als Sekretärin in der Schulverwaltung des Distrikts Santa Monica-Malibu. Es war eine feste, krisensichere Anstellung, und da sie bei ihrer Mutter wohnte und dieser das Haus gehörte, ging das Geld, mit dem sie sonst die Miete bezahlt hätte, auf ein Sparkonto. Und das war kein Sparschwein, in das man jede Woche einen Dollar steckte, sondern ein echtes College-Konto. Für Kat. Kat war ihre Hoffnung. Kat, deren Mutter Sekretärin und deren Vater tot war, ertrunken im tosenden Wasser der Anacapa-Passage, würde die erste in ihrer Familie sein, die ein College besuchen und somit Zugang zu allen Berufssparten haben würde, für die man einen Collegeabschluss brauchte: Jura, Medizin, Pädagogik, Naturwissenschaften.
Als sie ein staatliches Stipendium für die UCLA bekam, das nicht nur die Studiengebühren, sondern auch die Lebenshaltungskosten deckte, feierten sie – alle drei, obwohl Beverlys Mutter inzwischen kaum noch laufen konnte und das Haus seit Monaten nicht mehr verlassen hatte – mit einem Hummeressen in einem Hotel am Ocean Boulevard mit Blick aufs Meer. Im ersten Studienjahr wohnte Kat noch zu Hause, doch dann zog sie in ein Studentinnenheim, so dass ihre Mutter und Großmutter sie nur noch an den Wochenenden sahen. Nach einer Weile ließ sie den einen oder anderen Wochenendbesuch aus, dann auch mal zwei hintereinander, immer mit der Begründung, sie müsse so viel lernen. Manchmal verging ein ganzer Monat, bis sie heimkam, und dann brachte sie eine große Tasche voller schmutziger Wäsche mit, die Beverly nur zu gern wusch, zusammenlegte und stapelte, die ganze Zeit bemüht, sich keine Sorgen zu machen und nicht zu nörgeln. Denn Kat war zu dünn, ihr Haar war lang und in der Mitte gescheitelt wie das der Hippies, die Beverly in der Zeitung und in den Fernsehnachrichten gesehen hatte, und wie die Hippies trug sie tief auf der Hüfte sitzende Jeans mit ausgestellten Beinen, bestickt mit Sternen und Blumen, und Blusen, die ihren Bauch freiließen, was wohl jeder – nicht nur ihre Mutter – provozierend finden musste. Und was war mit Drogen? Marihuana? Rauchte sie Marihuana?
Kat verlor nie ein Wort darüber. Sie sprach auch nie über ihre Noten, und als am Semesterende die Zeugnisse eintrafen, wusste Beverly, die nicht im Traum die Post ihrer Tochter geöffnet hätte, sich nicht anders zu helfen, als sie danach zu fragen. War alles in Ordnung? Ja , versicherte Kat ihr, alles in Ordnung . Und fügte in einem Ton, der Beverly nicht gefiel, hinzu: Hör auf, mich zu nerven . Im dritten Studienjahr verliebte sich Kat. Das erzählte sie ihrer Mutter am Telefon und bei ihren selten gewordenen Wochenendbesuchen, aber wer war der Junge? Wie hieß er? Aus was für einer Familie stammte er? Welches Fach studierte er? Er war doch Student, oder? Und er rauchte doch nicht etwa Marihuana? Was machte sein Vater? Und woher kam seine Familie? So ging es das ganze Wochenende, vom Abendessen am Freitag bis zum Frühstück am Sonntag. Auf der mit Fliegengitter versehenen Veranda rumpelte die Waschmaschine, und das Licht der blassen, müden Sonne lag wie ein Fettfilm über allem in der Küche. »Willst du mir nicht mal seinen Namen verraten?« sagte Beverly, als sie ihr einen Teller mit Waffeln und zwei pochierten Eiern vorsetzte. »Deiner eigenen Mutter? Ich meine, wozu die Geheimniskrämerei? Ist er ein Zwerg oder so« – sie lachte kurz auf – »oder ein Kommunist? Oder hat es was mit uns zu tun? Mit deiner Oma und mir? Schämst du dich für uns?«
»Greg«, sagte Kat schließlich mit unvermittelt wutverzerrtem Gesicht. »Er heißt Greg? Zufrieden?«
Ihre Mutter, die ihr zugesetzt hatte, seit sie am Freitag abend durch die Tür getreten war, sah aus, als hätte man ihr ins Gesicht geschlagen, und trotz ihrer Verärgerung bedauerte Kat sogleich, was sie gesagt hatte. »Es tut mir leid, Mom«, sagte sie. »Ich hab einfach ziemlich viel um die Ohren. In der Uni. Ich brauche ein bisschen Platz für mich, okay?«
Mit knotigen Fingern und gesenktem Kopf saß ihre Oma
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