Grün wie die Hoffnung: Roman (German Edition)
langes, erfülltes Leben zu führen? Das Land zu beackern und darauf zu leben?«
»Sie kamen zur Totenwache meines Bruders.« Er ließ die Hand sinken. »Ich weiß nicht, was ich empfinde.«
»Ich kann mir vorstellen, wie schwer es für dich ist. Jeden Tag, Hoyt.« Sie legte die Hände auf seine Arme und blickte ihn an. »Wir müssen die Hoffnung, die darin liegt, sehen. Die Stärke, die uns die Vergangenheit gibt. Möchtest du eine Zeit lang hier alleine sein? Ich kann im Auto auf dich warten.«
»Nein. Jedes Mal, wenn ich denke, ich halte das, was von mir verlangt wird, nicht mehr aus, dann bist du da.« Er bückte sich und pflückte einige der kleinen, weißen Blumen. »Sie wuchsen auch zu meiner Zeit.« Er drehte sie hin und her und steckte sie ihr dann in die Haare. »Auf die Hoffnung.«
»Ja. Hier.« Sie hob ihre Kamera. »Diese Stelle hier schreit geradezu nach Fotos. Und das Licht ist großartig.«
Sie trat ein paar Schritte zurück, um den richtigen Winkel zu wählen. Sie würde es ihm schenken, dachte sie. Etwas von ihr, das er mitnehmen konnte. Und sie würde sich einen Abzug von dem Bild für ihre Wohnung machen.
Dann konnte sie sich vorstellen, wie er das Bild studierte, während sie ihres anschaute. Beide würden sie sich daran erinnern, dass sie an einem Sommernachmittag hier gestanden hatten. Aber die Vorstellung schmerzte.
Sie richtete die Kamera auf ihn. »Sieh mich an«, sagte sie. »Du musst nicht lächeln. Eigentlich …« Sie drückte auf den Auslöser. »Schön, sehr schön.«
Sie ließ den Fotoapparat sinken. »Ich werde ein Foto von uns beiden zusammen mit Selbstauslöser machen.« Suchend blickte sie sich nach einer geeigneten Stelle um, wo sie die Kamera hinstellen konnte. Hätte sie doch bloß ihr Stativ mitgebracht.
»Nun, ich muss ein bisschen zusammenbrauen.« Sie nahm ihn ins Visier. »Luft steh still, wie ich es will. Werde fest in meiner Hand, wie aus Steinen auf dem Land. Halte meine Kamera fein. Ich bitte dich, so soll es sein.«
Sie stellte den Fotoapparat auf die Ebene aus Luft und schaltete die Zeituhr ein. Dann lief sie zu Hoyt. »Schau in die Kamera.«
Sie legte ihm den Arm um die Taille und freute sich, als er es genauso machte. »Und wenn du jetzt noch ein bisschen lächeln könntest … eins, zwei …«
Das Licht blinkte auf. »So, fertig. Für die Nachwelt.«
Er trat mit ihr zur Kamera. »Woher weißt du denn, wie es aussieht, wenn du es aus dem Kasten herausnimmst?«
»Hundertprozentig weiß ich das nicht. Vermutlich ist das nur eine andere Form der Hoffnung.«
Sie blickte zur Ruine. »Brauchst du noch mehr Zeit?«
»Nein.«
Er würde nie genug Zeit haben. »Wir sollten zurückfahren. Es gibt viel zu tun.«
»Hast du sie geliebt?«, fragte Glenna, als sie über das Feld zurück zum Wagen gingen.
»Wen?«
»Das Mädchen. Die Tochter der Familie, die hier gelebt hat.«
»Nein. Das war eine große Enttäuschung für meine Mutter, aber für das Mädchen glaube ich nicht. Ich habe nicht an Ehe und Familie gedacht. Mir kam es so vor … es schien so, als erforderten meine Gabe, meine Arbeit Einsamkeit. Frauen muss man Zeit und Aufmerksamkeit schenken.«
»Ja, das stimmt, aber theoretisch geben sie es dir auch zurück.«
»Ich wollte allein sein. Ich hatte immer das Gefühl, in meinem Leben nicht oft und lange genug allein gewesen zu sein. Und jetzt, jetzt habe ich Angst, dass ich zu einsam werde.«
»Das liegt ja an dir.« Sie blieb stehen und warf einen letzten Blick auf die Ruine. »Was willst du ihnen denn sagen, wenn du zurückkommst?« Allein schon die Frage zerriss ihr das Herz.
»Ich weiß nicht.« Er ergriff ihre Hand. »Ich weiß nicht. Was willst du denn deinen Leuten erzählen, wenn dies hier vorüber ist?«
»Wahrscheinlich erzähle ich ihnen gar nichts. Sie sollen ruhig glauben, dass ich aus einem Impuls heraus nach Europa geflogen bin. Das habe ich ihnen gesagt, bevor wir abgeflogen sind. Warum sollten sie mit der Angst leben?«, fügte sie hinzu. »Wir wissen jetzt, dass die Schrecken der Nacht real sind, und das ist eine schwere Last für uns. Ich habe ihnen einfach nur gesagt, dass ich sie liebe, und mehr nicht.«
»Ist das nicht auch eine Form von Einsamkeit?«
»Auf jeden Fall eine, mit der ich umgehen kann.«
Dieses Mal setzte sie sich hinter das Steuer. Als er auf der Beifahrerseite einstieg, warf er einen letzten Blick auf die Ruine.
Ohne Glenna, dachte er, würde die Einsamkeit ihn verschlingen.
17
Die Vorstellung,
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