Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grün wie ein Augustapfel

Grün wie ein Augustapfel

Titel: Grün wie ein Augustapfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
Vom Netzwerk:
das kein Licht, und im Winter ersparte er Licht und Heizung.
    »Dann willst du dich also in die Penne einschließen lassen«, stellte Werner fest.
    »Erraten.«
    »Und dann?« fragte Werner hartnäckig. »Denn jetzt hört der Spaß auf, Dicker. Jetzt stehst du vor einer verschlossenen Tür und vor einem verschlossenen Schreibtisch.«
    »In unserem Nachbarhaus ist eine Schlosserei — Hogemann. Mit dem Jungen davon sind wir zusammen in die Volksschule gegangen. Er heißt Emil.«
    Gregor entsann sich des ehemaligen Schulkameraden, der längst Schlossergeselle war und in der Werkstatt seines Vaters arbeitete.
    »Und bei Emil Hogemann nimmst du jetzt Unterricht im Schlösserknacken?« fragte er leicht betäubt. Dies Anklammern an eine fixe Idee bei einem Menschen, den er wie seine Hosentasche zu kennen glaubte, verwirrte ihn. Noch nie hatte er beim Dicken einen selbständigen Gedanken entdeckt. Immer war Walter in ihrem Schlepptau gesegelt. Wenn es galt, irgendeinen Streich auszuhecken, war stets er oder Werner der Erfinder gewesen. Es mußte verdammt schlecht um Walter bestellt sein, daß er plötzlich diese verzweifelte Tatkraft entwickelte. Und plötzlich erschienen ihm auch Walters Drohungen, sich umzubringen, in einem neuen Licht. Der bekam es womöglich tatsächlich fertig, sich einen Strick um den Hals zu legen. Und er sah auch Walters Vater vor sich, einen frühzeitig kahl gewordenen, etwas farblosen Mann, der ihn immer ziemlich barsch abgewimmelt hatte, -wenn er gekommen war, um Walter zum Sport oder zum Bummeln abzuholen. Walter hätte keine Zeit für Dummheiten. Walter hätte zu arbeiten, zu lernen, voranzukommen, etwas zu erreichen. Ein Mann, der seinen Sohn von einer Klasse in die andere gezwiebelt hatte, seine Aufgaben überwachte und persönlich die Vokabeln abhörte. Ein Mann mit einem an Manie grenzenden Ehrgeiz für seinen Sohn.
    Der schrille Ton der Glocke, durch alle Gänge hallend und das Ende der Pause ankündigend, riß Gregor aus seinen Gedanken. Er sah aufschreckend in das Gesicht von Werner Cornelius und merkte an dessen Ausdruck, daß Werner ähnliche Gedanken durch den Kopf gegangen sein mochten.
    »Reiß dich jetzt zusammen, Dicker«, sagte er und lauschte auf die Stimmen und die Geräusche trampelnder Sohlen, die die langen Korridore erfüllten, »wir reden über die Geschichte nach der Penne weiter.«
    Er klemmte sich in seine Bank, schlug den Horaz auf, bohrte die Zeigefinger in die Ohren und memorierte die Ode >Ibam forte via sacra<. Oberstudienrat Dr. Heerdegen erwartete, daß seine Primaner vor dem Ministerialschulrat im Examen mindestens mit einem halben Dutzend auswendig gelernter Oden prunken konnten.

8

    Herbert Guntram stellte seinen Wagen um halb zwölf vor dem Haus ab. Noch bevor er unten läutete, drückte Manuela bereits auf den Knopf des elektrischen Türöffners.
    »Ich verschwinde nachher für eine kleine Weile und überlasse ihn dir«, flüsterte sie Viktoria zu, während sie ins Treppenhaus hinauflauschte, wo Guntram die Stufen nicht allzu rasch nahm, um nicht atemlos vor den Damen zu erscheinen. Er brachte zwei Blumengebinde mit, fünf Rosenknospen für Manuela und fünf voll erblühte lachsfarbene Nelken für Viktoria. Manuela nahm ihm die Blumen ab und legte seinen Hut und seine Handschuhe auf die Garderobe. Viktoria stand in der Tür zu ihrem kleinen Zimmer und sah sich den Mann an, der für Manuela der >Mann ihrer Träume< war. Und sie mußte gestehen, daß Herr Guntram — zum mindesten in seiner äußeren Erscheinung — das Herz jeder Frau zu rascheren Schlägen veranlassen konnte. Es war kein Wunder, daß er Manuela in einer Sekunde erobert hatte. Aber es war auch ein wenig erschreckend, daran zu denken, daß Manuela für ihn vielleicht nicht mehr als eine appetitliche Portion jungen Gemüses auf seiner sicherlich reichlich gedeckten Tafel bedeuten mochte...
    »Das also ist Herr Guntram, Vicky«, sagte Manuela mit einer Handbewegung, als wäre ihr ein Zaubertrick besonders gut gelungen.
    Guntram verbeugte sich und küßte Viktoria die Hand. Er konnte seine Überraschung nicht verbergen, einer so jungen und schönen Frau gegenüberzustehen, die man viel eher für Manuelas ältere Schwester als für ihre Mutter halten konnte.
    »Ich freue mich, Sie kennenzulernen, gnädige Frau.«
    »Schönen Dank für die Nelken, Herr Guntram«, murmelte Viktoria ein wenig nervös und führte ihn durch ihr kleines
    Zimmer in den Wohnraum. Manuela winkte ihnen mit einer klimpernden

Weitere Kostenlose Bücher