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Grün wie ein Augustapfel

Grün wie ein Augustapfel

Titel: Grün wie ein Augustapfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Anruf!«
    »Lüge nicht so unverschämt«, zischte Viktoria ihr zu, »vor einer halben Stunde hast du noch wie ein Murmeltier geschlafen.«
    Manuela warf ihr einen giftigen Blick zu und stampfte mit dem Absatz ihres Pantöffelchens heftig auf den Boden. Viktoria zog es vor, in der Küche zu verschwinden. Das muß ich mir abgewöhnen, dachte sie verzagt, und ich muß mich daran gewöhnen, daß ich eine erwachsene Tochter habe. Vierzig Jahre ist dieser Mensch alt, vierzig Jahre... Aber ich bin wahrhaftig die letzte, die Ursache hat, sich darüber aufzuregen. Sie warf einen Blick auf die Küchenuhr und begann den Spargel zu schälen, den sie unterwegs eingekauft hatte. Sie hatte die Absicht, ein paar Omeletts dazu zu backen.
    Manuelas Gespräch dauerte eine gute Viertelstunde, und Viktoria war mit dem Spargelschälen fertig, als Manuela in die Küche wirbelte: »Er ist in einer halben Stunde hier, um dir seine Aufwartung zu machen«, rief sie munter.
    »Um Himmels willen«, stöhnte Viktoria, »hast du etwa Herrn Barwasser auf gef ordert, herzukommen?«
    »Merk dir den Namen deines zukünftigen Schwiegersohnes, Vicky! Er heißt nicht Barwasser, sondern Guntram. Herbert Guntram. An den Vornamen werde ich mich erst gewöhnen müssen. Herrrrberrrrt... Man bricht sich dabei ja das Zäpfchen ab. Ich werde ihn Bert nennen. Das klingt flott und modern und paßt glänzend zu ihm.«
    Viktoria starrte ihre Tochter an, als überlege sie, ob es nicht angebracht sei, sie unter die kalte Brause zu stellen.
    »Los, los, zieh dich schon um, Vicky«, befahl Manuela energisch. »Diese gestreifte Bluse habe ich schon gestern an dir gesehen. Mach dich ein bißchen flott. Männer schauen sich die Mütter sehr genau an, auf deren Töchter sie Absichten haben. Nimm das eierschalenfarbene enge Kleid. Du bist darin eine Wucht. Und es sieht wiederum auch nicht so pompös aus, als hättest du dich extra seinetwegen toll in Schale geschmissen. Immer natürlich wirken. Das ist der Trick beim Angeln und bei der Jagd.«
    »Noch ein Wort, und ich klebe dir wirklich eine«, sagte Viktoria lahm. »Muß dieser Mensch ausgerechnet in dem Augenblick kommen, wo ich die Eier ins Mehl gerührt habe.«
    »Reg dich ab, Vicky, und zieh dich um, wenn du nicht haben willst, daß Bert dich im Unterrock antrifft.«
    »Noch eine Frage: Seit wann kennst du ihn eigentlich?«
    »Ooooch...«, murmelte Manuela und hob die Schultern, »seit etwa zweihundert Jahren. Verstehst du es nicht, Vicky? Ich bin dem Mann meiner Träume begegnet!«
    »Verschone mich gefälligst mit diesem Unsinn! Seit wann kennst du ihn?«
    »Du wirst es nicht glauben, Vicky, seit gestern abend.«
    »Und du nennst ihn bereits beim Vornamen?« fragte Viktoria etwas kurzatmig.
    »Hm, ja, aber das Du ergab sich sozusagen erst in der allerletzten Sekunde...«
    »Als er dich küßte?«
    »Wenn du es schon so genau wissen willst: nicht er hat mich, sondern ich habe ihn geküßt. Das heißt, auch nicht richtig, sondern nur so.« Sie küßte ihren Zeigefinger und drückte ihn auf einen unsichtbaren Widerstand, der in einiger Entfernung von ihren Lippen lag. »Du kannst übrigens ganz unbesorgt sein, Vicky, Bert kommt nicht etwa, um dich um meine Hand zu bitten. Es ist ein reiner Höflichkeitsbesuch. Er ist eben ein Kavalier der alten Schule. Ich habe ihm nämlich sofort erklärt, daß ich nicht die leiseste Ambition habe, von ihm geheiratet zu werden. Darauf muß er schon von selber kommen.«
    »Mein Gott«, seufzte Viktoria und schloß die Augen, als könne sie den Anblick Manuelas nicht länger ertragen. Sie
    drehte sich um und ging in ihr Schlafzimmer, um das Kleid zu wechseln, und sie wählte nach einigem Zögern tatsächlich das eierschalenfarbene Kleid aus Rohseide, das Manuela ihr anzuziehen empfohlen hatte.

7

    Das Gymnasium lag am Rande des Stadtparks. Über dem quadergefügten Rundbogen des Eingangs stand auf einer Bronzetafel zu lesen: Schiller-Gymnasium, erbaut 1886 bis 1888. Und darunter, von zwei Lorbeerzweigen umrahmt: NON SCHOLAE SED VITAE DISCIMUS. Der ziemlich scheußliche, neuromanische Bau hatte den Krieg zum geheimen Kummer des Direktors fast ohne Schäden überstanden. Andere, weniger solid gebaute Schulen waren im Feuersturm einer Bombennacht untergegangen, aber schließlich wie Phönixe aus der Asche auferstanden, moderne Gebäude mit hellen Räumen, breiten Korridoren, fast elegant zu nennenden Konferenzzimmern, geräuschdämpfenden und leicht zu pflegenden Fußböden, geruchlosen

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