Grün wie ein Augustapfel
Toiletten und tadellos funktionierenden Ölheizungsanlagen. Im Schiller-Gymnasium mußte Oberstudiendirektor Dr. Gmeindl sich, seine Herren vom Lehrkörper und zuweilen auch die Schüler, die sich über die unbequemen Bänke mit den quietschenden Klappsitzen beklagten, damit trösten, daß es der Geist sei, der sich Häuser baue. Die Geburt großer Gedanken war nicht an Prunkräume gebunden. Aus der Tonne des Diogenes hatte das Licht erhabener Weisheit hell über die Welt gestrahlt...
Es war die Elf-Uhr-Pause. Die Schüler stürmten durch die weit geöffnete Pforte ins Freie, unter ohrenbetäubendem Lärm, und bereits unter der Tür in Raufereien verwickelt. Das Geschrei legte sich ein wenig, als Studienrat Hertzog mit einer Schinkensemmel in der Hand auf den Schulhof trat, um die Pausenaufsicht zu übernehmen. Zwei Primaner unterstützten den Studienrat dabei. Sie genossen fast mehr Respekt als der Lehrer, denn sie scheuten sich durchaus nicht, die ärgsten Schreier und
Raufbolde durch Maulschellen zur Ordnung zu bringen. Im Pennälerjargon hießen sie >die Bullen<.
Der Schulhof war nicht allzu groß. Vom Park trennten ihn rote Ziegelmauern, von der Straße ein hoher Zaun eiserner Lanzen.
Obwohl es streng verboten war, während der Pause im Klassenzimmer zu bleiben, waren Walter Scholz, Werner Cornelius und Gregor Mellin in der Klasse zurückgeblieben. Sie hatten die Geschichtsstunde bei Dr. Gmeindl hinter sich, und sie war für Walter Scholz zur Katastrophe geworden. Da er beim >Chef< abgemeldet zu sein glaubte, hatte er sich für die Stunde gar nicht erst präpariert und Cluny kühn in die Nähe von Bordeaux verlegt, den schwachen Gregor VIII. mit dem gewaltigen Gregor VII. verwechselt, und schließlich die Clunyazensische Bewegung ins dreizehnte Jahrhundert verlegt. Die Clunyazensische Bewegung! Ein Lieblingsthema von Dr. Gmeindl, über das er seine Doktordissertation und später noch mehrere wissenschaftliche Studien geschrieben hatte.
Dieser ungeheuerliche Frevel hatte den Oberstudiendirektor, einen Mann, der sich zu beherrschen wußte und eigentlich nie in Rage geriet, fast zu einem Tobsuchtsanfall geführt. Und mit diesem Fiasko war das Schicksal von Walter Scholz so gut wie besiegelt.
Der arme Kerl saß völlig niedergebrochen auf seiner Bank, stützte die Ellenbogen auf die von Generationen zerkerbte Schreibplatte und zerwühlte mit den Fingern seinen blonden Scheitel.
»Jetzt ist der Bart ab... Jetzt bin ich erledigt...«
»Ja, du dreimal gehörntes Rindvieh«, knurrte Werner erschüttert und teilnahmsvoll, »was mußtest du auch ausgerechnet dem Chef sein Steckenpferdchen kaputt trampeln! Cluny, liebe junge Freunde, das ist ein Wort, das ich fürwahr nur mit starker innerer Bewegung auszusprechen vermag. Denn hier liegt — wohlauf gemerkt! — die Keimzelle einer großartigen Erneuerung...« Er lieferte eine fabelhafte Kopie des Chefs. Bei einer anderen Gelegenheit hätten sie vor Lachen gebrüllt, aber nicht einmal Gregor verzog eine Miene, von Walter ganz zu schweigen.
»Hör schon auf, Komus«, winkte Gregor ab, »ich fürchte, der Dicke hat beim Chef endgültig Verschissen. Es hat keinen Zweck, daß wir uns was vormachen.«
»Ich häng' mich auf«, sagte Walter wild. Er war so verzweifelt, daß man es ihm Zutrauen konnte. Es lag in seiner Art, sich leicht zu entzünden oder die Nase hängen zu lassen, für gewöhnlich dauerten diese euphorischen oder depressiven Zustände nicht allzulange. Die Freunde hofften, auch dieser Tiefschlag werde ihn nicht für ewig auf die Bretter legen.
»Jawohl«, wiederholte er dumpf, »ich hänge mich auf, oder ich knalle mir eine Kugel in den Schädel. Mein Alter hat daheim noch vom Kriege her seine Nullacht in der Kommode liegen.«
»Halt das Maul, du Knallkopf«, sagte Gregor scharf, »man hängt sich nicht wegen einem verbogenen Abitur auf! Wenn es dieses Mal nicht geht, schaffst du es eben beim zweiten Anlauf!«
»Aber nicht auf dieser Penne, und nicht, wenn der Chef wieder die Oberprima übernimmt.«
Das war ein Argument, das Gregor verstummen ließ. Wer bei Dr. Gmeindl einmal abgemeldet war, der war für ewig abgemeldet.
»Ja«, murmelte Werner düster, »ich habe das Gefühl, jetzt kann Walter nur noch ein Wunder helfen.« Aber er machte dabei ein Gesicht, als ob ihm der Glaube an solche Wunder schon seit langer Zeit abhanden gekommen sei. »Du kannst ja den Chef mal fragen, ob er dir nicht den Schlüssel zu seinem Schreibtisch geben
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