Grün wie ein Augustapfel
will.«
»Red doch keinen Stuß«, fiel Gregor ärgerlich ein, denn die Erinnerung daran, daß die Abituraufgaben im Schreibtisch des Direktors lagen, konnte Walter noch zu einer Verrücktheit verleiten. Und genau das, was er befürchtet hatte, trat ein.
»Und ich mach's«, sagte Walter und knallte die Faust auf den Tisch. »Was kann mir jetzt noch passieren? Entweder ich habe Glück, oder ich schaffe das Abs nie!«
»Du hast ja einen kleinen Mann im Ohr«, flüsterte Gregor, als könnten die Wände Ohren haben. »Das ist doch alles heller Irrsinn!«
»Und überhaupt, Dicker, wie willst du in das Zimmer vom Chef kommen«, fragte Werner und tippte sich gegen die Stirn, »wie willst du den Schreibtisch öffnen, und wie willst du an die Aufgaben herankommen? Der Umschlag ist dreifach versiegelt! Also hör schon mit diesem Quatsch auf!«
»Es ist nicht euer Quatsch, sondern mein Quatsch. Und ich will euch ja auch nicht bereden, mitzumachen.«
»Das fehlte auch noch gerade«, knurrte Gregor. »Aber halt um Himmels willen die Schnauze, Dicker! Wenn du schon verrückt genug sein willst, so was zu unternehmen, dann laß es keinen Menschen wissen, nicht einmal Werner und mich!«
»Ich dachte, ihr seid meine Freunde...«
»Hör zu, Dicker«, sagte Gregor hitzig, »wir haben dich noch nie im Dreck steckenlassen, aber irgendwo hört die Freundschaft auf. Was du vorhast, das geht über einen Fez hinaus. Das kann dir ganz eklig ins Auge gehen.«
»Es kann, aber es muß nicht«, sagte Walter stur. »Man muß die Sache nur gut vorbereiten. Und ich werde sie gut vorbereiten, darauf könnt ihr euch verlassen!«
»Und ich werde dir eins in die Kiemen geben, du Idiot, wenn du nicht bald zur Vernunft kommst«, brüllte Gregor und war drauf und dran, die Sache auf diese Weise zu einem Ende zu bringen.
»Von mir aus poliert euch die Schnauzen«, sagte Werner gelassen, »aber ob das was hilft, weiß ich nicht.«
Seine Ruhe wirkte auf Gregor ernüchternd. »Zum Teufel, aber mir platzt einfach der Kragen, wenn ich den Blödsinn höre, den Walter verzapft.«
»Los, Dicker, nun rede schon«, sagte Werner und gab dem Freund einen Ermunterungsstoß vor die Brust, »du denkst doch nicht erst seit fünf Minuten an die Sache, he?«
»Nee, ehrlich gesagt, seit jenem Abend nach dem Kino, wo du erzähltest, der Briefträger hätte dem Chef den Einschreibebrief vom Ministerium gebracht.«
Werner stieß einen leisen Pfiff aus.
»Na ja, und seitdem habe ich mich ein bißchen um die Gewohnheiten von Professor Kniesel gekümmert.«
>Professor Kniesel< war der Spitzname des Hausmeisters Wilhelm Kniesel, eines ehemals aktiven Feldwebels, der lange vor dem Krieg wegen chronischem Rheumatismus aus dem Heer ausgeschieden und seit fünfundzwanzig Jahren die rechte Hand des jeweiligen Direktors war. Er hatte vier Direktoren kommen und gehen sehen und fühlte sich als der eigentliche Herr des Hauses. Seine Dienstwohnung lag im Parterre des Gymnasiums, gleich links neben dem Eingang.
»Und was hast du herausbekommen, Dicker?«
Walter Scholz ließ die Zungenspitze in der rechten Wange spielen: »Es ist jeden Abend das gleiche. Um acht Uhr geht Kniesel in die Kneipe um die Ecke...«
»Zum >Feisten Hirschen<...«
»Jawohl. Dort trinkt er drei Schoppen Rotwein und spielt bis Punkt zwölf. Um neun bringt Elfriede ihren Buben zu Bett...«
(Elfriede war die älteste von den vier Töchtern des Hausmeisters, sie war ledig und half ihren Eltern in ihren Dienstobliegenheiten. Pennäler der älteren Jahrgänge raunten sich zu, Elfriedes elfjähriger Sohn entstamme der Verbindung von Fräulein Kniesel mit einem Primaner, der sich dieser Geschichte wegen das Leben genommen habe.)
»... um zehn gehen beide Frauen schlafen, und fünf Minuten nach zwölf kommt Kniesel aus der Kneipe zurück. Meistens geht er ins Konferenzzimmer und kippt die Aschenbecher aus. Und um Punkt halb eins legt er sich in die Falle. Es ist jeden Tag das gleiche.«
»Respekt vorm Dampfschiff«, murmelte Werner, den die Genauigkeit von Walters Beobachtungen zu faszinieren schien, »aber wie willst du in die Penne 'reinkommen?«
»Ganz einfach. Im Konferenzzimmer ist jeden Tag bis sieben oder sogar bis acht Uhr Betrieb. Wenn sonst niemand da ist, dann hält der >Eiserne Gustav< die Stellung und korrigiert Hefte.«
Der >Eiserne Gustav< war Studienrat Gustav Hahn, ein alter Junggeselle, der es aus Sparsamkeit vorzog, seine Arbeiten im Konferenzzimmer zu erledigen. Im Sommer kostete ihn
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