Grün wie ein Augustapfel
des Herzens säße bei Manuela ein Metronom, zu nichts anderem bestimmt, als die Takte heißer Synkopen mitzuhämmern.
»Und er?« fragte sie halb versöhnt.
Manuela schnupfte unter Tränen auf und wischte sich die feuchte Nase mit dem Rücken des Zeigefingers ab: »Das ist es ja, was mir Kummer macht! Er hat mich noch nicht einmal geküßt. Ich meine, richtig geküßt. Er behandelt mich, als ob ich ein netter, kleiner Pudel wäre, den er gern spazierenführt. Genauso.« Sie sah Viktoria erwartungsvoll an, als erhoffe sie von ihr eine Lösung aller Probleme.
»Ich kann dir leider keinen Rat geben, mein Kind«, sagte Viktoria bekümmert und befeuchtete ihr Taschentuch mit der Zungenspitze, um die Spuren ihres Lippenstiftes von Manuelas Wange zu entfernen. »Meine Erfahrungen sind sehr dürftig. Mit dieser Geschichte mußt du schon allein fertig werden.«
16
Guntrams Freund, Dr. jur. Dieter Hellwig, hatte sich als Scheidungsanwalt einen Namen gemacht. Vielleicht war das der Grund dafür, daß er Junggeselle geblieben war. Er bewohnte in einem Hochhaus der Frankfurter City ein geräumiges Appartement, dessen Inneneinrichtung Guntram entworfen und besorgt hatte. Eine nicht ganz einfach zu lösende Aufgabe, da der große Wohnraum drei Funktionen zu erfüllen hatte, als Musikzimmer, denn Hellwig war ein ausgezeichneter Pianist, als Bibliothek, denn er sammelte bibliophile Kostbarkeiten, und als Barraum, denn er galt bei seinen Freunden als ein Genie des Shakers. Einem Witzbold verdankte er den Spitznamen Shakerspeare.
Als Guntram den Hörer ablegte, ging Hellwig zur Bar. Er goß Gin, Rum, Cognac und Taijemstvybitter zu gleichen Teilen in die schweren Bechergläser und warf in jedes ein paar Eiswürfel hinein.
»Kennst du diese Mischung, mein Junge?«
»Keine Ahnung, aber sie scheint ziemlich umwerfend zu sein.«
»Der Drink nennt sich Casanova«, sagte Hellwig und grinste.
»Welch feinsinnige Anspielung.«
»Prösterchen — und jetzt zück endlich die Brieftasche und zeig mir die Fotos der jungen Dame.«
Guntram zögerte, aber schließlich zog er die Brieftasche doch hervor und reichte Hellwig ein Foto. Gregor hatte es vor einem halben Jahr auf genommen. Es zeigte Manuela im Halbprofil, sie war gerade dabei, eine Platte aufzulegen. Hellwig betrachtete das Bild eine halbe Minute lang.
»Wenn du jetzt >Knalleffekt der Natur< sagst, gieße ich dir den ganzen Inhalt des Glases über den Schädel«, sagte Guntram warnend.
»Es läge nahe, Schopenhauer zu zitieren«, meinte Hellwig blinzelnd, »aber ich würde andere Zitate wählen. Wie alt ist dieses reizende Wesen?«
»Neunzehn.«
»Du bist verrückt«, stellte Hellwig fest und sah Guntram sehr ernst an.
»Das weiß ich selber. Aber ich brauchte eine Bestätigung.«
»Ich fürchte nur, meine Diagnose wird nicht viel nützen.«
»Das weiß ich noch nicht.«
»Wie lange kennst du dieses Mädchen?«
Guntram zögerte mit der Antwort.
»Ich schwöre dir, daß ich todernst bleibe«, sagte Hellwig und nahm einen kleinen Probeschluck seines Drinks.
»Seit acht Tagen«, antwortete Guntram schließlich.
»Donnerwetter«, staunte Hellwig, »dafür bist du aber in der Familie Mellin schnell avanciert.«
»Das brachten die Umstände mit sich. Gestern die Geschichte mit Herrn Freytag, und heute die üble Suppe, die sich dieser junge Narr eingebrockt hat.«
»Ich verstehe — du fühltest dich verpflichtet, sozusagen als Lotse an Bord der kenternden >Viktoria Mellin< zu gehen.«
»So kann man es nennen«, murmelte Guntram. Er fand das Bild gar nicht so schlecht gewählt.
»Ähnelt die Tochter der Mutter?«
»Wie aus dem Gesicht geschnitten.«
»Das sind erfreuliche Zukunftsaussichten.«
»Leider werde ich, wenn Manuela so alt wie ihre Mutter ist, dreiundsechzig sein.«
»Das ist weniger erfreulich. Aber laß mich rechnen...«
»Erspar es dir. Viktoria Mellin ist achtunddreißig Jahre alt. Eine auffallend gutaussehende Frau. Sie wirkt erstaunlich jung. Sie hat übrigens mit siebzehn geheiratet. Einen Mann, der auch fünfundzwanzig Jahre älter war als sie.«
»Weshalb sagst du >auch Bist du denn schon fest entschlossen, Bert?«
Guntram grinste flüchtig: »Der >Bert< ist einer der Gründe, die mich zögern lassen.«
»Und die anderen?«
»Das läßt sich mit Worten sehr schwer ausdrücken.«
»Mit einem Wort: Der kleine Rest von Verstand, den du noch zu besitzen scheinst, gibt Warnsignale. Aber hier«, Hellwig tippte mit dem Mittelfinger links gegen
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