Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grün wie ein Augustapfel

Grün wie ein Augustapfel

Titel: Grün wie ein Augustapfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
Vom Netzwerk:
seine Richtigkeit hatte.
    »Und nun zum Diebstahl. Scheidet aus! Weil bei den Jungen keine Zueignungsabsicht bestand. Sie müssen verstehen: Zum Delikt des Diebstahls gehört ein Vermögenswert, den man sich aneignen will. Hier ging es um Abituraufgaben, deren Text die Jungen abschreiben wollten. Kommen Sie mit?«
    »Ja, Herr Justizrat.«
    »Schön. Es liegen also zwei Vergehen vor, deretwegen man Ihren Jungen anklagen wird: Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung. Hausfriedensbruch beim Einsteigen in das Schulgebäude, Sachbeschädigung beim öffnen des Schreibtisches und bei der Öffnung der Umschläge, die die Aufgabentexte enthielten. Die polizeiliche Untersuchung hat ergeben, daß Ihr Sohn Gregor weder eigenes Interesse am Erfolg hatte, noch daß er beim Angriff auf den Hausmeister beteiligt war. Er wird sich wegen Beihilfe zu verantworten haben. Wahrscheinlich wird ihm der Staatsanwalt zusätzlich ein Delikt des versuchten Betruges vorwerfen. Sind Sie mitgekommen?«
    Viktoria nickte ängstlich und sah den Justizrat fragend an. Er zog an seiner Brasil und drückte ihr Deckblatt, um den Brand zu verbessern.
    »Und jetzt wollen Sie von mir wissen, was Ihr Junge zu erwarten hat. Daß diese Geschichte keine Bagatelle ist, wird Ihnen Ihr Dr. Müller wohl schon gesagt haben. Sie müssen damit rechnen, daß Ihr Sohn Gregor sich auf eine Strafe von sechs Monaten Jugendarrest gefaßt machen muß.«
    Viktorias Herz schlug bis zum Hals herauf, sie faltete die Hände und ließ den Kopf sinken. Sechs Monate...
    »Meine Aufgabe wird es sein, dafür zu plädieren, daß die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird, und ich hoffe sehr, damit beim Gericht durchzukommen. Wären Sie damit zufrieden?«
    »Selbstverständlich, Herr Justizrat.«
    »So«, sagte er und rieb sich die Hände, »dann wollen wir den jungen Mann in Empfang nehmen. Er wurde dem Untersuchungsrichter vor zwei Stunden überstellt, und ich nehme an, daß Amtsgerichtsrat Saffran seine Vernehmung inzwischen beendet hat. Wie ich hörte, soll er den dummen Kerl, der jetzt mit zwei zerschossenen Rippen im Rotkreuzspital liegt, noch gestern abend vernommen haben.«
    Er drückte auf einen Knopf der Sprechanlage und beauftragte eine der Vorzimmerdamen, ein Taxi zu bestellen.
    »Ich habe meinen Wagen unten, Herr Justizrat.«
    »Was haben Sie?« fragte er stirnrunzelnd.
    »Meinen Wagen«, sagte Viktoria unsicher.
    »Hören Sie«, raunzte er sie an, »in Ihrem Gemütszustand setzt man sich nicht hinters Steuer! Wir nehmen ein Taxi. Ich bin doch kein Selbstmörder!«
    Eine Sekretärin meldete, daß das Taxi unterwegs sei. Der Justizrat erhob sich aus seinem Armstuhl, nahm Viktorias Arm und führte sie durch einen endlosen Korridor, den ein halbes Dutzend brauner Aktenschränke zu einer sehr schmalen Passage machten, zum Treppenhaus und auf die Straße, wo das Taxi bereits wartete. Der Chauffeur begrüßte den Justizrat wie einen alten Bekannten und öffnete den Schlag. Im Wagen tätschelte Justizrat Meisinger Viktorias Hand. Sie saß klein und niedergeschlagen in ihrer Ecke.
    »Nicht den Kopf hängen lassen, gnädige Frau«, sagte der alte Herr, »Sie haben natürlich gedacht, der olle Justizrat würde ein Wunder vollbringen. Die Wunder muß ich leider den Herren von einer anderen Fakultät überlassen.«
    »Ich mache mir um Gregors Zukunft Sorgen.«
    »Mit dem Abitur ist es natürlich aus. Dafür sorgt schon die Schule. Aber Sie können Ihren Jungen ja im nächsten Jahr, wenn über die Geschichte Gras gewachsen ist, irgendwo hinschicken, wo er das Examen nachholen kann.«
    Viktoria nickte stumm.
    »Ein feiner Tröster, der alte Meisinger, werden Sie jetzt denken, wie? Aber sehen Sie, es ist nicht meine Aufgabe, zu trösten, sondern meinen Klienten die Augen für das zu öffnen, was sie erwartet. Und ich finde, daß Tatsachen, auch wenn sie unangenehm erscheinen, letzten Endes doch tröstlicher sind als die Furcht vor unbekannten Zukunftsereignissen. Wenn man weiß, was einem bevorsteht, kann man sich darauf einrichten.«
    »Ich danke Ihnen, Herr Justizrat.« Es war Viktoria anzuhören, daß sie keine leere Redensart aussprach. Die Zukunft war alles andere als freundlich, aber sie lag doch nicht mehr so dunkel und drohend vor ihr wie vor einer halben Stunde.
    Im Justizgebäude, einem palastartigen Bau in der Nähe des Stadtparks, trennte sich Justizrat Meisinger von Viktoria, um den Untersuchungsrichter aufzusuchen. Viktoria wartete vor dem Verhandlungszimmer in dem

Weitere Kostenlose Bücher