Grün wie ein Augustapfel
jugendlichen Übeltäter ins Schiller-Gymnasium eingestiegen waren, und mit Bildern von Hausmeister Kniesel, der die verbundene Hand in einer schwarzen Schlinge trug. Die Namen der Täter waren mit Gregor M., Werner C. und >einem Dritten< angegeben. Dem Selbstmordversuch von Walter Scholz, als >unselige Kurzschlußhandlung eines Jugendlichen< kommentiert, war eine kurze Notiz außerhalb des Berichtes unter den >Kurzmeldungen aus der Stadt< gewidmet.
Hausmeister Kniesel war der Held des Tages. In einem Interview mit den Reportern beider Blätter schilderte er ausführlich, wie er, von seinem Stammtisch wegen des heraufziehenden Gewitters früher als sonst heimkehrend, beim Betreten des Gymnasiums durch einen Luftzug auf eine offenstehende Tür aufmerksam geworden war. Dabei hatte er entdeckt, daß auch ein Fenster im Hochparterre offenstand. Aber erst das Auffinden von drei Schuhpaaren unterhalb des Fensters hatte in ihm den Verdacht geweckt, daß hier etwas nicht in Ordnung sei. Und dann wären ihm die Examensaufgaben im Direktorat eingefallen. So sei er hinauf geschlichen, habe die Tür auf gerissen und die Einbrecher, die sich hinter den Schreibtisch geflüchtet hätten, aufgefordert, sich zu erkennen zu geben. Auf seine mehrfach wiederholte Aufforderung hätte er keine Antwort bekommen, aber plötzlich habe einer der Burschen eine Bronzefigur vom Schreibtisch des Direktors nach ihm geworfen, seine Taschenlampe zerschmettert und ihn selber am Handgelenk verletzt. Nur so sei es möglich gewesen, daß ihm die Einbrecher entkamen.
In der Schule ging es wie in einem Bienenkorb vor dem Schwärmen zu. Die Zeitungen wanderten von Hand zu Hand, und die wildesten Gerüchte machten die Runde. Aus Kniesels Verletzung am Handgelenk waren bereits um neun drei gebrochene Finger geworden, und weil an der Bronzefigur, die ja jeder Pennäler kannte, ziemlich viel Grünspan gehaftet hatte, wurde Kniesel in der Zehn-Uhr-Pause bereits der rechte Arm amputiert. Und wenn Kniesel bei der Operation draufging... Junge, Junge, es war nicht auszudenken, ob die drei dann nicht noch wegen Mord drankamen. Ihre Namen kannte man hier natürlich genau, und es war auch durchgesickert, daß Walter Scholz zur Pistole seines Vaters gegriffen und sich zu erschießen versucht hatte. Keinen halben Zentimeter am Herz vorbei! Im Grunde aber war man sich darüber einig, daß die drei genau das gemacht hatten, wovon man vor jeder Klassenarbeit träumte: Einmal das Notizbuch des Mathematik- oder Deutschlehrers zu klauen. Ihr Pech war, daß sie sich hatten erwischen lassen. Und das war natürlich strafwürdig...
Viktoria erschien pünktlich um zehn in der Kanzlei Meisinger. Die Chefsekretärin war auf ihr Kommen vorbereitet und führte sie, da im Warteraum ein Dutzend Klienten saßen, in ein Nebenzimmer, von dem eine schalldicht gepolsterte Tür direkt zum Büro des Justizrats führte. Sie bat Viktoria, sich noch ein paar Minuten zu gedulden, da der Justizrat noch bei einer Besprechung sei.
Es vergingen wirklich nur wenige Minuten, bis Justizrat Meisinger die Tür öffnete und Viktoria in sein Zimmer bat. Er war ein Mann Ende der Sechzig, wohlbeleibt, Freund eines guten Tropfens, von verbindlichen Umgangsformen, die er auch beim schärfsten Plädoyer nicht ablegte. Was er dort leider ablegen mußte, war die Zigarre, ohne die er sonst einfach nicht zu denken war. Er war durch die Zeitungen über den Fall hinreichend unterrichtet. Die Ausgaben des Kuriers und des Anzeigers lagen vor ihm. Einige Sätze waren rot unterstrichen, Rosinen, die er aus dem etwas breit geratenen Teig herausgefischt hatte. Er überflog den Text des Anzeigers noch einmal und hakte, während er sprach und sich in Rauchwolken einhüllte, die einzelnen Delikte mit einem Drehbleistift an.
»Einbruch — hoho — Diebstahl — hoho — Untersuchungshaft hm — wissen Sie, verehrte Frau Mellin, das klingt ja alles ziemlich aufregend, und das ist ja wohl auch der Zweck der Übung. Aber diese Herren Reporter sollten doch, bevor sie so was schreiben, einen juristischen Schnellkurs absolvieren. Denn was liegt gegen Ihren Jungen nun tatsächlich vor? Einbruch scheidet aus. Ist nämlich kein rechtstechnischer Ausdruck. Gibt es nur im Zusammenhang mit Diebstahl. Hier aber handelt es sich um einen klaren Fall von Hausfriedensbruch in Verbindung mit Sachbeschädigung. Kommen Sie mit?«
Viktoria nickte beklommen. Sie kam durchaus nicht mit, aber sie vertraute dem Justizrat, daß das, was er sagte,
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