Gründergeschichten
Entdeckung zuzuordnen. Wenn ein Beweis erstmals publiziert wurde, dann
ist das eine klare Sache. In der Medizin sind die Dinge nicht so klar.« Deshalb herrsche die Furcht, durch die Weitergabe
von Kenntnissen Verluste zu erleiden.
Peitgen versucht, durch möglichst viel Offenheit, Barrieren abzubauen. Die Türen zu allen Büros, auch zu seinem, stehen immer
offen. »Bei uns herrscht ein bisschen das asiatische Denken, wir investieren viel Zeit in das Miteinanderreden und |158| Miteinanderplanen«, sagt Peitgen. Alles andere wäre der Tod der Wissenschaft. »Ich glaube, dass junge Leute ihre Kreativität
nur abrufen können, wenn sie in einer Welt mit anspruchsvollen Zielen und mit extremen Leistungsanforderungen leben, aber
sich dabei entschieden selbst organisieren können.« Und das tun sie auch. Er habe nur bei ganz wenigen Mitarbeitern das Gefühl
gehabt, die bräuchten klarere Ansagen.
Die kommerziell ausgerichteten Firmen der MeVis-Gruppe ticken dagegen nach ganz anderen Gesetzen. Dort müssen Entwicklungen
zur Reife gebracht werden und dazu gehören in der Medizintechnik komplizierte Zertifizierungsverfahren. So müssen die Produkte
mehreren Qualitätsstandards genügen, zum Beispiel den strengen Regelungen des Medizinproduktegesetzes oder den Zulassungsbedingungen
der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA).
»Wir haben hier also zwei Extremkulturen unter einem Dach, aber sie sind durchlässig, jeder kann wechseln.«
Für Peitgen kommt der Medizintechnik in Deutschland eine »Schlüsselrolle« zu. Medizintechnische Firmen erleben große Erfolge:
So erhielt Marktführer Siemens in den letzten beiden Jahren für Entwicklungen auf dem Gebiet der Computertomografie (CT) und
der Magnetresonanztomografie (MRT) den Innovationspreis der deutschen Wirtschaft in der Kategorie Großunternehmen. MeVis bewegt
sich in diesem äußerst dynamischen Umfeld: Als das Unternehmen 1995 gegründet wurde, steckte die digitale Radiologie noch
in den Anfängen. Heute ist sie – beginnend mit den bildgebenden Systemen über digitale Archive bis zur Befundung am Monitor
– schon nahezu Standard und hat zu einer Explosion der Datenmengen geführt.
|159| Doch um nachhaltig zu wachsen, muss MeVis eine Riesenhürde nehmen: Praktisch alle Gesundheitssysteme dieser Welt sind nicht
dem freien Markt überlassen. Sie sind streng reguliert. Das heißt, es geht nicht darum, was der Patient oder der Arzt sich
wünscht, sondern danach, welche medizinischen Leistungen kollektiv abgerechnet werden können. In den USA hat MeVis schon große
Erfolge erzielt: In Studien konnte gezeigt werden, dass bei etwa 30 Prozent der Frauen, bei denen ein einzelner kleiner Tumor
mit Mammografie entdeckt worden war, die Existenz weiterer Tumore mit einer MR-Brustkrebserkennung nachgewiesen werden konnte,
und damit die Therapieentscheidung maßgeblich verändert wurde. Die US-Behörden haben der Software inzwischen die Zulassung
erteilt und so zur offiziellen Untersuchungsmethode erster Wahl erhoben. Es ist insgesamt kostengünstiger für das System,
einen Tumor so früh wie möglich zu behandeln, und verbessert natürlich die Therapieerfolge.
»Von den jeweiligen Gesundheitssystemen anerkannt zu werden ist extrem schwierig, kostet sehr viel Zeit und Erfahrung«, berichtet
Peitgen. Doch nun verfüge man in dem Unternehmen über das entsprechende Know-how und die Netzwerke. »Das ist ein wichtiges
Asset«, so der MeVis Gründer.
»Wir haben bisher sicherlich auch viel Glück gehabt und Glück heißt, wir hatten die richtigen Leute zur richtigen Zeit und
die richtigen Produktideen zur richtigen Zeit. Aber natürlich haben wir für unseren Erfolg auch hart gearbeitet«, sagt Peitgen
und zitiert den Werder-Bremen-Trainer Thomas Schaaf, den er sehr schätzt: »Mit Glück allein kann man ein Fußballspiel nicht
gewinnen, man muss auch ackern. Und mein Team hat geackert. Die Entscheider sind nicht zu uns |160| gekommen, sondern wir sind zu ihnen gegangen. Und wir haben uns auch in die öffentliche Arbeit im Kampf gegen Brustkrebs kräftig
mit eingebracht.«
In den zwölf Jahren seiner Existenz hat MeVis seine Software von Gebieten wie Brust, Leber, Niere, Lunge ausgedehnt auf neue
Felder wie Herz und Gehirn. Ziel ist es, den gesamten Bereich der bildbasierten Diagnose und Therapie zu besetzen. Denn dieser
Bereich ist ein schnell wachsender globaler Markt mit besonderer Dynamik in den USA und
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