Gründergeschichten
spezialisierten Hardware anbieten könnte«, sagt Peitgen. Er trifft sich mit
dem amerikanischen Unternehmer. Doch der reagiert skeptisch. Amerikaner trauen den Deutschen zwar zu, die besten Autos der
Welt zu bauen, sie trauen ihnen aber keinesfalls zu, herausragende Software zu schreiben. Es dauert lange, bis Peitgen das
Vertrauen des Mannes gewinnt. »Schließlich haben wir einen sehr ehrgeizigen Vertrag geschlossen und uns verpflichtet, in relativ
kurzer Zeit eine Software herzustellen. Und das ist uns gelungen, wir haben den Vertrag erfüllt.« Heute ist MeVis mit dem
Produkt Weltmarktführer.
|153| Diese Erfahrungen haben ihm die Augen geöffnet für ein Kernproblem von Existenzgründern: »Innovative Produkte haben es wahnsinnig
schwer, das liegt in der Natur der Sache«, erläutert Peitgen. Man muss jemanden überzeugen, etwas zu kaufen, was noch nie
gekauft worden ist und dessen Nutzen überhaupt noch nicht etabliert ist. Und, was die Sache im Medizinbereich noch schwieriger
macht: Hochtechnologieprodukte kann man Peitgens Meinung nach gerade in dieser Branche nur in den Markt bringen, wenn man
von Anfang an international orientiert ist. »Daran gehen so viele Gründer kaputt«, sagt er. »Sie haben die tollsten Ideen,
die Technologien stimmen vielleicht sogar, aber sie sind nicht international orientiert und ihre Lösungen passen deshalb nur
für den sehr beschränkten heimischen Markt. Sie finden dann einige Kunden in Deutschland und vielleicht in Europa, denen sie
ihr Produkt verkaufen. Aber das liefert nicht genug Masse. Das ist eine ganz kritische Stelle, die nicht verstanden wird.
Da greifen auch alle Fördermaßnahmen von Bund und Ländern zu kurz, weil sie praktisch nur auf nationale Bewertungen und Bedürfnisse
ausgerichtet sind.«
Doch wie soll es einem mittelständischen Start-up-Unternehmen gelingen, global präsent zu sein? Dazu verfügt es in der Regel
weder über die Leute noch über das notwendige Kapital. Peitgens Fazit nach dem Debakel mit der eigenen Vertriebsmannschaft
und nach den positiven Erfahrungen in den USA sieht so aus: »Ich brauche, wenn ich weltweit Output in den Krankenhäusern haben
will, starke Partner, die das für mich übernehmen. Deshalb kooperieren wir mit den großen Medizintechnik-Unternehmen dieser
Welt, mit Siemens, Hologic, Philips und so weiter.« Denn diese verfügen |154| über exzellente Mannschaften, sie können vor Ort den Support übernehmen und besitzen Zugänge zu den administrativen Einheiten
in den Krankenhäusern. Sie sind bekannt, ihr Name steht für Qualität und Verlässlichkeit und muss nicht erst etabliert werden.
»Von unserer Software zur digitalen mammografischen Brustkrebserkennung sind inzwischen weltweit fast 3 000 Programme installiert
worden«, sagt Peitgen. »Das hätten wir allein nie geschafft.«
Aber die zu finden ist vor allem für ein Start-Up-Unternehmen mühsamste Arbeit. »Um bei Siemens Partner zu werden, braucht
man einen langen Atem«, erinnert sich Peitgen. Und wie handelt man überhaupt Joint-Ventures oder komplizierte Verträge über
Softwarelizenzen aus, ohne die Interessen der Firma zu verkaufen? Für Peitgen ist das ein unbekanntes Feld. »Das habe ich
mir am Anfang überhaupt nicht zugetraut und deshalb immer von außen Kompetenz dazugeholt«, erinnert er sich. Wieder helfen
dem begnadeten Netzwerker Kontakte, die er schon vor Jahren geknüpft hatte: Einen seiner Vorträge über die Chaostheorie hatte
Peitgen bei der Jahresversammlung der Bitkom gehalten, dem Interessenverband der deutschen IT- und Telekommunikationsbranche.
Dessen damaliger Chef ist interessiert an Peitgens Arbeit, bietet seine Hilfe an und bringt ihn mit versierten Juristen zusammen.
»Deutschland hat ja eine allseits bekannte Innovationsschwäche in Softwaretechnologie. Sie finden hervorragende Juristen,
aber wenige, die sich in diesen komplexen Mischgebieten wie Medizin und Informationstechnologie auskennen«, führt Peitgen
aus.
Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland, davon ist er überzeugt, hängt in Zukunft ganz wesentlich davon ab, inwieweit
es gelingt Hochtechnologieprodukte zu entwickeln. |155| Voraussetzung dafür sei allerdings eine radikal reformierte Förderpolitik. »Wir stecken zu viele Gelder in alte Technologien
wie Autos und so manches Gestrige«, kritisiert Peitgen. Zwar wurden zahlreiche Forschungsprojekte der MeVis-Gruppe von der
Deutschen
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