Gründergeschichten
scheinen absurd. Selbst die Gewerkschaft verdi bescheinigt
dem frommen Christen, seinen Laden ordentlich zu führen. Und falls jemand dennoch annehmen sollte, dass es Deichmann letztlich
auf Profit ankomme, den kann er auf sein Engagement für Arme, Kranke und Chancenlose in Indien und Afrika verweisen.
Vor 30 Jahren wurde er nach Indien eingeladen, weil er für ein Hilfsprojekt gespendet hatte. Dort sieht er sich plötzlich
Hunderten Leprakranken gegenüber. »Ich habe ihre entstellten Gesichter gesehen, die blinden Augen, die Gliedmaßen ohne Hände
und Füße. Da kann man nur weglaufen oder helfen.« Bis heute fährt Deichmann jedes Jahr im November nach Indien, wo das von
ihm gegründete Hilfswerk »wortundtat« mit indischen Partnern Dörfer für die stigmatisierten |186| Kranken gebaut hat; später errichtete es Schulen, bekämpfte Kinderarbeit in den Steinbrüchen, indem es Geld an die Eltern
zahlte. Heute spielt der Kampf gegen die Tuberkulose eine große Rolle, von der besonders die Armen betroffen sind. 2006 kam
ein Soforthilfeprogramm für HIV-Infizierte hinzu. 80 000 Menschen unterstützt die Organisation jedes Jahr in Indien. Der zweite
Schwerpunkt von wortundtat ist Tansania, wo mit Deichmanns Geld und weiteren Spenden Schulen und Berufsausbildungsstätten
sowie ein Krankenhaus finanziert werden.
Vom Beginn seines wirtschaftlichen Aufstiegs an hat sich Deichmann für Schwächere engagiert, insbesondere für Kinder. Auf
dem Gelände seines Hauses zwischen Essen und Wuppertal errichtete er in den 60er Jahren eine Art Kinderheim, das vor dem eigentlichen
Wohnhaus fertiggestellt wurde. »Eine unverheiratete Schwägerin hat das Heim geleitet. Da waren immer zehn, zwölf, 13 Kinder.
Die sind mit unseren Kindern aufgewachsen. Heute sagen die Onkel zu mir.« Seine eigenen Töchter und Sohn Heinrich hätten mit
den Waisenkindern gelegentlich die Kopfläuse geteilt. Ein anderes Deichmann-Projekt kümmert sich um Menschen, die in seinem
Wohnort von Obdachlosigkeit bedroht sind. Der ehemalige Bundespräsident und nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes
Rau – auch er ein Mann von gefürchteter Bibelfestigkeit – rief Deichmann an, wenn »ein Mensch zwischen die Maschen zu fallen
drohte« und der Sozialstaat keine Hilfe versprach. »Solche Patriarchen sind mir lieber als Leute, die keinen Vater haben«,
sagte der Sozialdemokrat über den Unternehmer. Deichmann, der selbst gelegentlich von der Kanzel predigt, versteht es, belesen
und fromm über |187| seinen Glauben zu sprechen. Unmittelbarer als bei anderen tief gläubigen Christen folgt daraus bei ihm die Übersetzung in
die Praxis: »Gott wird mich nicht fragen, wie viele Schuhe ich verkauft habe.« Das treibt ihn an. Und wenn es darum geht,
für seine Hilfsprojekte zu werben und zu sammeln, kennt er keine Scheu vor der Öffentlichkeit.
Die erste Pressekonferenz im Schuhunternehmen Deichmann fand dagegen erst statt, als das Unternehmen 90 Jahre alt war. »Wir
haben uns nie so bedeutend gefühlt, dass wir eine Pressekonferenz hätten geben müssen«, sagt Deichmann dazu. Da schwingt ein
wenig Koketterie mit. Der »Gewerbefleiß« als Pflicht gegenüber Gott, den der große Soziologe Max Weber als Kennzeichen des
Protestantismus ausmachte, ist ein Teil von Deichmanns Persönlichkeit. Und eine zwar stille, aber große Leidenschaft. Das
Verkaufen von Schuhen nennt Deichmann »fast eine Lebensaufgabe«. Nur eben eine, über die er nicht pausenlos reden müsse: »Was
wollen Sie dazu groß sagen. Das tut man.«
Stefan Schmitz
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|189| »Was wir bisher geschafft haben, ist nur die Aufwärmphase«
Q-Cells AG
Wachstum,Wachstum,Wachstum: Der Solarzellen-Hersteller Q-Cells
hat inzwischen rund 1100 Mitarbeiter, macht bald 750 Millionen
Euro Umsatz und ist an der Börse etwa fünf Milliarden Euro wert.
Dabei ist das Unternehmen gerade einmal acht Jahre alt. Gründer
Anton Milner schildert, wie man die Vorstellungen von Kaufleuten
und Ingenieuren unter einen Hut bringt, damit am Ende eine funktionierende
Firma dabei herauskommt.
D ie Zukunft schimmert dunkelblau, ist hauchdünn und so leicht zu zerbrechen wie ein Kartoffelchip: die Solarzelle, eine der
umweltfreundlichsten Energiequellen, die Menschen bislang erfunden haben. Anton Milner produziert diese Zukunft, und zwar
massenhaft: Er ist der Gründer und Vorstand der Q-Cells AG, des größten unabhängigen
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