Gründergeschichten
treffen.« So viel Verlockung, so viel Verheißung. Er verließ
sich auf sein Gefühl, und das war in vielen Fällen kein gutes. Außerdem mehrten sich Anzeichen, dass der Börsenboom ein Ende
mit Schrecken nehmen könnte; erste spektakuläre Pleiten kündigten das an. »Wir hatten Glück und gute Berater«, erzählt Will.
So nahm sich der international agierende Wirtschaftsanwalt und Finanzberater Heinrich Rodewig der jungen Firmengründer an
und gab ihnen die entscheidenden Hinweise, was sie tun oder lieber lassen sollten. Darum gründeten Funke und Will zwar eine
Aktiengesellschaft, denn »damals galt es als todschick, eine AG zu sein«, sagt Will nicht ohne Selbstironie. »Aber an der
Börse sind wir bis heute noch nicht.«
Am Ende ließen Funke und Will sich nicht auf die märchenhaften Angebote der Risikokapitalgeber ein, sondern sahen sich die
Vorschläge der Wirtschaftsförderungsgesellschaften diverser Bundesländer genauer an. Auch deren Vertreter standen Schlange,
waren auf der Suche nach vielversprechenden Jungunternehmen und sprachen bei ihnen vor. Auch sie winkten mit Geld – allerdings
waren das Fördermittel. Als Gegenleistung verlangten die Investorensucher echte Betriebe mit echten Arbeitsplätzen. Das lag
den beiden Ingenieuren mehr als der angeblich so schnell verdiente Reichtum.
Zwei Monate dauerte ihre Analyse der Standorte. Dann fiel die Entscheidung. Und so kam es, dass der Rheinländer Will und der
Siegener Funke sich tief im Osten wiederfanden, in Sachsens Provinz. Die Immobilie, mit der das Städtchen Großenhain, rund
25 Kilometer entfernt von Dresden gelegen, sie lockte, konnte man nur mit blühender Fantasie als |227| ideal bezeichnen: ein alter verrotteter Hangar auf dem ehemaligen Militärflughafen, fern der Autobahnen, die nach Berlin und
Leipzig führen, wenigstens inmitten saftiger Felder auf sanft hügeliger Landschaft platziert. Bis 1994 war das Gelände von
den Truppen der Roten Armee genutzt worden, nicht eben mit Liebe. Seit sechs Jahren schon stand es damals leer, ein Dach gab
es nicht mehr. Der Flughafen allerdings verfügte über eine 3,4 Kilometer lange Start- und Landebahn, die später für die Testfahrten
genutzt werden sollte. Trotzdem: Als ihr Steuerberater die marode Halle sah und das zwar hübsche halbrunde aber völlig derangierte
Flughafengebäude von 1938, sagte er zu Will nur: »Du hast ’nen Schuss.«
Sie taten es trotzdem. Funke und Will nahmen das Geld, das ihnen die öffentliche Hand gab und die Banken ihnen liehen – allen
voran die Kreissparkasse Köln – und kauften Hangar, Haus und Grund und ließen daraus eine helle, freundliche Produktionsstätte
mit viel Licht, Platz und luftigen Büros entstehen. Wie es sich gehört für einen Luxuswarenhersteller, knirscht heute Kies
in der Auffahrt »Zum Fliegerhorst 11«. Nur das Hinweisschild von der Hauptstraße ist ziemlich bescheiden ausgefallen, man
sieht es kaum. Die Hälfte aller materiellen Investitionen – Immobilie, Sanierung, Werkzeuge unter anderem – bestritten sie
aus Zuschüssen. Selbst steckten sie, so Will, einen »D-Mark-Betrag im kleinen einstelligen Millionen-Bereich« in ihr Vorhaben.
Systematisch bauten Herbert Funke und Philipp Will ihre Firma aus, besetzten die Abteilungen nach und nach so, wie ein Auto
entsteht: Entwicklung, Bau, Marketing, Vertrieb. In einem klimatisierten Großraumbüro mit gedämpftem Licht sitzen heute die
Entwicklungsingenieure in Großenhain an |228| ihren Rechnern und schauen nur kurz auf, wenn eine Besucherin hereinspäht. Die meisten sind jung, zwischen Mitte 20 und Mitte
30, und was sie planen und berechnen, wird streng geheim gehalten. Jedenfalls ist der Marketingbeauftragte Arnd Sünner nervös
darauf bedacht, dass man nicht zu genau nachfragt und nicht zu genau auf die Schreibtische schaut, obwohl es für den Laien
da gar nichts zu entdecken gibt. Die Geheimniskrämerei hat guten Grund: Denn hier wird an der Zukunft und der Expansion der
Autoschmiede gebastelt.
Die Entwickler kannten Funke und Will zum Teil schon oder sie suchten sie sich an den Hochschulen, testeten sie unter anderem
bei Praktika. Benjamin Abraham zum Beispiel, ein in sich ruhender schmaler junger Mann mit trendbewusster Kotelettenfrisur,
Modebrille und In-Jeans, hat in München Fahrzeugtechnik studiert und seine Diplomarbeit über die Entwicklung der neuen Yes-Serie
geschrieben. Heute ist er, mit nur 26 Jahren,
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