Gründergeschichten
und dessen Geschäftsmodell mehr oder weniger kopierte? Ist zwar
der nächst größte Mitbewerber, »macht aber nur neun Prozent unseres Umsatzes«.
Würths Geschäftsmodell lässt sich auf ein Schlagwort reduzieren: Expansion. Oder wie er es sagt: »Ich habe dann einfach multipliziert«.
In den 60er Jahren gründet Würth Auslandsgesellschaften. Die erste in den Niederlanden, es folgen die Schweiz, Österreich,
Italien, Dänemark und Frankreich. 1969 springt er über den großen Teich, in die USA. Das Verrückte: Er kann praktisch nicht
anders: Es sind die Kunden, die ihn rufen. Nach »dem Prinzip der Zellteilung« werden die Würth-Erfolgsrezepte in die einzelnen
Länder transportiert und, ganz wichtig, den dortigen Gegebenheiten angepasst. Das kostet natürlich zunächst erst einmal Geld,
das Würth sich leihen muss. Noch ganz gut erinnert er sich an die unangenehme Begegnung mit einem Leiter der örtlichen Volksbank,
der drohte, Würth das Firmenkonto zu sperren. Damals habe er gelernt, »dass Wachstum ohne Gewinn tödlich ist.«
|252| Zielstrebigkeit und Expansion also. Das dritte Zauberwort in der Würthschen Erfolgsformel lautet: Diversifikation. Damit ist
es schon komplizierter: »Ist es richtig zu sagen: ›Schuster bleib’ bei deinem Leisten‹, oder zu sagen: ›Diversifikation öffnet
die Kreativität‹? Meine These ist: Weder das eine ist richtig noch das andere. Monostruktur führt zu Inzucht, Diversifikation
kann ein grausames Verzetteln bedeuten; in beiden Fällen geht es schief, wenn man es nicht richtig macht. Ich habe immer gesagt,
wir brauchen in diesem Unternehmen kosmopolitische Weltsicht, wir brauchen offene Gedanken, und das fördern wir natürlich
durch solche Neugründungen, solche Zukäufe in Märkten, die an unseren Kernmarkt anschließen. Werkzeug-Großhandlungen, Elektro-Großhandlungen
– das sind Märkte, die wir verstehen, wo wir zu Hause sind. Technische Großhändler kaufen wir zu, das ist keine große Sache.
Da können wir das Management aus unserem eigenen Führungskräfte-Nachwuchs dick zur Verfügung stellen.«
Sein Geschäft brummt auch deshalb, »weil wir den Artikelstand immer ausgeweitet haben, neue Produkte hinzugekommen sind, wo
wir null Marktanteil hatten«. Die Eroberung der Welt geht Würth immer mit einer »Kombination aus Erfahrung und rationalem
Kalkül« an. »Ich war immer bereit, Risiken einzugehen. Aber es waren kalkulierte Risiken. Wenn es schief geht, dann ist es
nicht lebensbedrohlich.«
Nur einmal ging er baden, mit einer Baufirma. »Das hat mich schon kräftig geschüttelt. Das waren zehn Millionen D-Mark, und
bei der damaligen Größe des Betriebs war das schon eine gewaltige Summe. Ich habe einen Privatkredit aufgenommen, mit drei
oder vier Millionen D-Mark, und habe |253| den dann über mehrere Jahre zurückbezahlt. Aber was ist eigentlich eine Niederlage?«, fragt Würth. »Man kann das im Moment
des Ereignisses gar nicht definieren.«
Aber er hat daraus gelernt: »Wenn ich diversifiziere in andere Märkte, mache ich das nur, wenn ich mindestens zwei Manager
mitbekomme, die Jahre oder Jahrzehnte Erfahrung haben. Das Internationale Bankhaus Bodensee habe ich nur gekauft, weil die
zwei Vorstände einen guten Eindruck machten und die Geschäfte weiterführen. Das ist das Schöne des Privatunternehmers, das
unterscheidet uns von der börsennotierten Aktiengesellschaft, dass ich in einem Centennium denken kann. Ich lasse das Internationale
Bankhaus Bodensee sich entwickeln, mal sehen, wie das dann im Jahr 2077 aussieht. Das kann dann eine veritable, international
aufgestellte Bank sein, theoretisch. Die macht jetzt schon Gewinn. Die haben einen schönen Kundenstamm – und es ist eben wieder
was Neues, was Prickelndes, was anderes. Wenn Sie 50 Jahre lang Befestigungsmaterial verkaufen, wird das einfach stinklangweilig.
Auch den Mitarbeitern wird’s langweilig. Wenn’s halt jedes Jahr 10 Prozent mehr werden, der Gewinn steigt, der Umsatz steigt.«
Würth will Bewegung. »Diese Neugier«, sagt er, »führt manchmal zu Ideen, die für begabte, normale Manager überraschend sind.
Hier wäre vor 15 Jahren mit Sicherheit niemand auf die Idee gekommen, eine Leasing-Gesellschaft zu gründen. Mit der Elektronik
war das genauso. »Könnte schon sein, dass ich in 100 Jahren Spaghetti verkaufe.« Theoretisch.
Auch privat ist Reinhold Würth sehr zielstrebig. 1956 begegnet er nach dem
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