Gruene Armee Fraktion
da war etwas anderes. Fremdländisches.
Ein Duft.
Der herbe Geruch von Mate.
Das Kräuteraroma, das aufsteigt, wenn der südamerikanische Tee aufgegossen wird. Vielleicht hatte er ihn auch nur bemerkt, weil Ricarda Walde immer wieder ihr kürbisförmiges Trinkgefäß mit heißem Wasser aufgegossen und daraus mit einem Metallrohr getrunken hatte. Und zum Schluss zu jemandem gesagt hatte, dass der Tee ausgegangen sei und ein neues Paket geholt werden müsse.
»Von dem Laden zwei Straßen weiter.« Aber wo kaufte man in Hamburg diesen südamerikanischen Stoff? Er suchte im Internet, stieß auf Versandhändler und kam nicht weiter. Nach einem Augenblick wusste er, wen er fragen konnte.
»Hallo, Kathy.«
»Hi, Paps.«
»Du musst mir helfen, Töchterchen.«
»Dachte ich mir schon. Sonst rufst du ja nicht an.«
War da wieder diese Kühle in ihrer Stimme, mühsam kontrolliert? Seitdem sie vor zwei Jahren ins Karolinenviertel gezogen war und Ethnologie studierte, kam der Vorwurf immer wieder, dass er sich so selten meldete. Manchmal klagte sie in Anspielungen, manchmal ganz offen, er hätte nur »diesen blöden Job« im Kopf. Eine Behauptung, die er für unfair hielt, aber nur zu gut kannte. Von Christin. Auch sie hatte das zu ihm gesagt. Und er hatte nicht hingehört.
Der Schlusspunkt war seine Reise zum Ende der Welt gewesen. Um das Leben von Wissenschaftlern am Limit zu beschreiben, hatte er vier dunkle Monate in einer Forschungsstation in der Arktis überwintert. Als er zurückkam, war auch seine eigene Wohnung wie vereist, unbewohnt und erstarrt unter einer feinen Schicht von Staub. Erst in diesem Moment war ihm schlagartig klar geworden, was er vorher nicht hatte wahrhaben wollen: Während seiner Trips durch die Welt hatte sich auch seine Frau still von zu Hause entfernt. Später fragte er sich oft, warum sie nicht manchmal protestiert hatte, geweint, vor Wut mit Geschirr geworfen. Er wusste, dass er die Antwort auch bei sich suchen musste. Dennoch blieb es ein großes Rätsel für ihn nach all den Jahren, wie sie einfach lautlos verschwunden war. Die Kinder hatte sie gleich mitgenommen, Katharina und Robert, damals fünfzehn und dreizehn Jahre alt.
Vielleicht war es ein Fehler gewesen, sich danach umso mehr in die Arbeit zu vergraben, um den Schmerz zu betäuben. Als ein Freund ihm zu einem Besuch bei einem Psychologen riet, hatte er den Zettel mit dem Namen nach ein paar Wochen weggeworfen, als könnte er damit einen Schlussstrich ziehen. Und, schlimmer noch, er hatte die Treffen mit den Kindern immer sporadischer werden lassen, um die Wunden nicht ständig neu aufzureißen, ihre und seine. Es hatte nicht funktioniert. Kathys kühler Ton traf ihn wieder wie ein Stich.
»Hast du einen Moment Zeit?«, fragte er mit belegter Stimme. »Kann ich mal rumkommen bei dir?«
Zwanzig Minuten später stand er vor ihrer winzigen Wohnung im Karolinenviertel, Ofenheizung, dritter Stock.
Sie nahmen sich so fest in die Arme, dass sie nicht bemerken konnte, wie er den Kloß im Hals herunterschluckte. Wieder einmal fand er, dass seine Tochter ungewöhnlich blass aussah, aber versuchte, ein cooles Gesicht aufzusetzen.
»Du bist doch viel unterwegs in der Latino-Szene«, sagte er schnell, um sie auf vertrautes Terrain zu leiten. Katharina war als Austauschschülerin in Uruguay gewesen und kannte sich auch in der lateinamerikanischen Gemeinde in Hamburg aus. »Wo kann man hier Mate kaufen? Ein Paket, meine ich.«
»Ich denke, du magst das Zeug nicht«, sagte sie, während sie die Espressomaschine in der kleinen Küche anwarf. »Vor Urzeiten hast du mal dran genippt und es fast wieder ausgespuckt.«
»Soll auch nicht für mich sein, sondern ein Geschenk.«
»Hast du ‘ne neue Freundin?« Katharina drehte den schmalen Kopf mit dem glatten schwarzen Haar um und sah ihn misstrauisch an.
»Eher ‘ne neue Feindin«, antwortete er. Er dachte daran, wie Ricarda Walde ihm die kalte Schulter gezeigt hatte, und musste lächeln. »Ich will sie vergiften. Nur weiß ich noch nicht, wie ich zu ihr komme.«
Kathrina zog ihre dünnen, gezupften Brauen hoch, erwiderte aber nichts.
»Also, wo würdest du auf die Suche gehen, wenn du Mate kaufen willst?«
»Machst du einen Witz? Das Kraut gibt es inzwischen in ganz vielen Läden. Da gibt es einige Shops, die in Frage kommen.« Die Espressomaschine zischte und spuckte ihre braune Brühe aus.
»Ich suche aber einen bestimmten. Wahrscheinlich in der Nähe eines Bunkers, in dem Musik
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