Gruene Armee Fraktion
Lieblingsfeind, die Atomkonzerne. Bloß kann das den moralischen Bankrott für die gesamte Anti-AKW-Bewegung bedeuten.«
»Und wir hauen in dieselbe Kerbe mit unserem Cover? Treten den ganzen Umweltschutz in die Tonne?«, fragte die Modechefin. »Haben wir nicht vor ein paar Monaten erst den Titel ›Grün ist schick‹ gemacht?«
»Das ist jetzt nicht unser Problem, Vanessa.« Der Chefredakteur schaute zum Verlagsleiter und zurück in die Runde. »Unser Problem sind Marktzwänge. Gewinneinbrüche durch den Rückgang der Werbung …«
»Um achtundzwanzig Prozent«, warf Rolf zur Brüggen besorgt nickend ein.
»… weil wichtige Anzeigenkunden von Print zum Internet abwandern. Keiner von euch möchte seinen Job verlieren, und deswegen können wir uns aktuellen Trends nicht entziehen. Alle großen Medien machen die Öko-Terroristen jetzt zum Hauptthema, wie wir aus vertraulichen Quellen wissen. Und die Konkurrenz lacht sich schlapp, wenn wir unseren Vorsprung nicht nutzen.«
»Mondrians Bericht über die Schanzen-Bande kann ein echter Scoop werden«, sagte Rolfes. Die meisten nickten begeistert.
»Tut mir leid, wenn ich noch mal nerve«, sagte die selbstbewusste Modechefin, »ich habe ein weiteres Problem. Ich habe vorhin bei einer Nachrichtenagentur gelesen, das SEK hätte einen Beagle in Notwehr erschossen.«
Allgemeines Gelächter.
»Aber bisher steht nirgendwo etwas über handfeste Beweise, dass die Festgenommenen Mitglieder der Grünen Armee Fraktion sind.«
Der Chefredakteur drehte sich zur Seite und schaute Mondrian an. »Wie siehst du das, Jonas? Was ist das für ein Verein?«
»Also«, sagte Mondrian nach einer kleinen Pause und räusperte sich, »die Gruppe existiert seit etwa vier Monaten. Eine charismatische Anführerin. Etwa zehn Leute plus Dunkelfeld. Alle fanatische Atomkraftgegner und radikal öko. Aber es gehören auch echt schräge Figuren dazu, vom durchgeknallten Tierfreund bis zum Altjunkie. Manche kommen mir vor, als wären sie gerade aus einem Videoclip entsprungen. Ein Teil sind Idealisten, andere Spinner …«
»Ist das nicht dasselbe?«, fragte Grosser boshaft.
»… und manchmal bin ich mir nicht ganz sicher«, fuhr Mondrian fort, ohne darauf einzugehen, »ob die wirklich das Kaliber für Mord und Folter haben. Im Umfeld gibt es bestimmt Figuren, die nachts Autos abfackeln und Randale machen, wenn die Polizei an der Flora aufmarschiert. Aber andere scheinen mir echt naiv und reichlich verpeilt. Die Kinder der Roten Armee Fraktion hatte ich mir jedenfalls anders vorgestellt.«
»Hast du denn Zweifel, dass sie die Täter sind?«
»Gute Frage. Noch gibt es nicht gerade viele Beweise. Der SEK-Einsatz war eindeutig schlagkräftiger als die Indizien, die das BKA bisher zusammengetragen hat. Ein paar Schuhabdrücke, ein paar Erdbrocken, dazu Blutspuren, die von dem entführten Mädchen stammen sollen. Ich hoffe stark, dass ich von meinem Polizeikontakt mehr bekomme.«
»Und wann?«
»Keine Ahnung. Vielleicht noch heute.«
»Also gut. Sonst gilt die Regel unserer amerikanischen Kollegen: Forget the facts, push the story! «
Noch einer von Grossers Lieblingssprüchen, nicht immer nur als Scherz gemeint. »Wir dürfen jetzt nicht päpstlicher sein als der Papst. Alle Medien gehen davon aus, dass die Kommunarden aus dem Schanzenviertel die Killer sind …«
»… und wir müssen nicht die obersten Bedenkenträger der Nation spielen«, assistierte der Cop und blickte mit einer steilen Stirnfalte zur Modechefin hinüber.
Grosser klopfte ungeduldig auf den Tisch und stand auf. »Haut in die Tasten! Ich will das Zeug möglichst schnell lesen.« Mit dem iPhone am Ohr verließ er den Konferenzraum.
Als Mondrian in seinem Büro war, fuhr er den Laptop hoch. Rief ein neues Word-Dokument auf und speicherte es unter »GAF« auf dem Desktop. Oben links blinkte der Cursor auf dem nackten Bildschirm. Und wartete auf das erste Wort.
Eigentlich litt Mondrian nicht unter der Berufskrankheit von Journalisten, der Angst vor dem Anfang, vor der leeren Seite. Normalerweise hatte er den Einstieg für einen Text bereits im Kopf, bevor er die erste Zeile schrieb. Aber diesmal nicht. Unentschlossen, wie er beginnen sollte, starrte er auf die Tastatur vor sich. Und die Tasten starrten erwartungsvoll zurück.
Welche Geschichte sollte er schreiben? Die Geschichte einer skrupellosen politischen Bande, die durchdreht und unvorstellbare Grausamkeiten begeht? Klar, das war es, was alle erwarteten, außer
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