Grüne Magie
ruhten. Die Sonne ging unter, und es wurde dunkel, doch niemand legte sich schlafen.
Einige Stunden später erschien wieder die Geisterstadt, und in dieser Nacht ging es auf den Promenaden noch fröhlicher und ausgelassener zu. Kleine Raketen rasten in den Himmel, und als sie explodierten, entstanden prächtige Feuerblumen am Firmament, dichte bunte Muster, Blüten aus silbernem und goldenem Glanz. Durch eine besonders breite Straße zog die Kolonne einer festlichen Prozession, und die phantomhaften jungen Mädchen trugen glitzernde Kleider. Ihnen folgten Musikanten in funkelnden roten und orangefarbenen Roben, und hinter ihnen tanzten und tollten Harlekine. Stundenlang hallten Musik und Gesang durch die Nacht, und Cugel trat knietief ins Wasser und sah so lange zu, bis das Fest zu Ende ging und die Stadt verschwand. Als er sich umdrehte, folgten ihm die Pilger zurück auf den Strand.
Am nächsten Tag waren sie infolge von Hunger und Durst geschwächt. Cugel schlug krächzend vor, den Weg fortzusetzen. Garstang nickte und sagte heiser: »Zum Tempel, zum Tempel Gilfigs!«
Subucule vollführte eine zustimmende Geste. Die Wangen seines einstmals so vollen Gesichts waren eingefallen, und der Blick seiner Augen hatte sich getrübt. »Ja«, stöhnte er. »Wir haben uns lange genug ausgeruht. Jetzt müssen wir weiter!«
Und auch Casmyre nickte. »Zum Tempel!«
Doch niemand von ihnen machte Anstalten, nach Süden zu gehen. Cugel wandte sich vom Strand ab, erkletterte eine Düne und wartete auf den Einbruch der Nacht. Als er den Kopf nach rechts drehte, sah er ein menschliches Skelett, das die gleiche Haltung einnahm wie er selbst. Links lag ein zweites, und Cugel schauderte. Wind und Wetter hatten die Knochen bereits verwittern lassen. Einige Meter entfernt ragten weitere Gebeine aus dem Sand.
Cugel sprang auf und eilte zu den Pilgern. »Geschwind!« rief er. »Fort von hier, solange wir noch die Kraft dazu haben! Nach Süden! Kommt, bevor wir sterben, so wie die, deren Knochen in den Dünen liegen!«
»Ja, ja«, brummte Garstang. »Zum Tempel!« Und er stand auf. »Los!« rief er seinen Gefährten zu. »Nach Süden!«
Subucule richtete sich auf. Casmyre stemmte sich ebenfalls in die Höhe, ächzte aber und sank in den Sand zurück. »Ich bleibe hier«, sagte er. »Wenn ihr den Tempel erreicht, so haltet Fürsprache für mich. Erklärt Gilfig, daß der Zauber der Geisterstadt stärker war als mein Leib.«
Garstang bat die Pilger darum, auf seine Begleitung zu verzichten. Er wolle hier beten, meinte er. Doch Cugel deutete auf die untergehende Sonne. »Wenn wir bis zur Nacht warten, sind wir verloren! Morgen haben wir nicht mehr die Kraft, uns aus dem Bann zu befreien!«
Subucule griff nach dem Arm Garstangs. »Wir müssen fort, bevor es dunkel geworden ist.«
Garstang wandte sich noch ein letztesmal an Casmyre. »Freund und Gefährte, besinn dich auf deine letzten Kräfte. Zusammen haben wir das Pholgustal verlassen, sind mit dem Floß über den Scamanderstrom gereist und durch die schreckliche Silberne Wüste gezogen! Sollen wir uns denn jetzt trennen, bevor wir den Tempel finden?«
»Komm, zum Tempel!« krächzte Cugel.
Aber Casmyre ließ nur den Kopf hängen. Cugel und Subucule führten Garstang fort, über dessen schorfige Wangen Tränen strömten. Sie stolperten über den Strand und wankten nach Süden, wagten es dabei nicht, übers Meer zu blicken.
Die Sonne ging unter, und der Horizont glühte in einem kastanienbraunen Schein. Einige Wolkenfetzen schimmerten in einem strohgelben Ton am seltsam bronzefarbenen Firmament. Kurz darauf erschien die Stadt, und sie war noch wundervoller als zuvor. An den Turmspitzen glitzerte und gleißte der letzte Schein der Sonne. Über die Promenaden wanderten junge Männer und Frauen mit Blumen im Haar, und manchmal blieben sie stehen, um die drei Wanderer auf dem Strand zu beobachten. Die Nacht begann, und weißes Funkeln erstrahlte in der Stadt. Musik wehte über den Ozean. Lange Zeit folgten die Melodien den drei Reisenden, doch schließlich verklangen sie in der Ferne. Flach erstreckte sich das Meer bis hin zum westlichen Horizont, und nur hier und dort war noch ein letztes bernsteinfarbenes Schimmern zu sehen.
Etwa zu dieser Zeit fanden die Pilger einen Bach, in dem frisches Süßwasser floß. An seinen Ufern wuchsen Beeren und wilde Pflaumen. An dieser Stelle schlugen Cugel und seine Begleiter ihr Lager auf. Am nächsten Morgen fing Cugel einen Fisch und sammelte
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