Grüne Magie
sprang rasch wieder zurück.
Das Geräusch von Schritten, die sich entfernten – dann Stille. Vorsichtig kroch Ern hinter seinem Versteck hervor, trat an die Mauer heran und spähte durch den Riß. Die Zweier waren fort. Sonderbar, dachte Ern. Sie mußten gewußt haben, daß er sich in unmittelbarer Nähe befand… Er drehte sich um. Zehn Schritte entfernt stand der größte Mann, den er jemals gesehen hatte: Er lehnte auf einem Schwert und beobachtete ihn aufmerksam. Der Mann war fast zweimal so massig wie der schwerste Zweier. Er trug einen braunen Umhang aus weichem Leder, und an den Unterarmen glänzten metallene Manschetten. Seine Haut war runzlig und grau, so hart wie Horn. Die Gelenke der Arme und Beine wirkten ausgesprochen dick und massig, was auf enorme Körperkraft hindeutete. Der Kopf war ziemlich breit und wies auffallende Kerben und Buckel auf. Die Augen funkelten wie Kristalle und lagen tief in den Höhlen. Auf dem Schädel sah Ern drei zackige Kämme. Außer dem Schwert führte er auch noch eine andere Waffe bei sich – einen sonderbar anmutenden Gegenstand aus Metall mit einem langen Stutzen. Vorsichtig kam der Hüne einen Schritt näher heran. Ern wich zurück, doch aus irgendeinem Grund ergriff er nicht die Flucht.
»Warum waren sie hinter dir her?« fragte der Mann mit tiefer und heiser klingender Stimme.
Ern reagierte mit Erleichterung darauf, daß der Hüne nicht auf der Stelle über ihn herfiel, um ihn zu töten. »Sie bezeichnen mich als einen ›Grotesken‹ und machten Jagd auf mich.«
»Du sollst ein Grotesker sein?« Der Dreier betrachtete den Kopf Erns. »Du bist ein Zweier.«
»Die Einer haben mir mit einem Messer in den Kopf geschnitten, auf daß zwei lange Narben entstanden und sie mich an die Zweier verkaufen konnten.« Ern betastete die Striemen, und dabei bemerkte er etwas anderes. Zu beiden Seiten der Narben und auch in der Mitte fühlte er die Kammbuckel eines Erwachsenen. Und es waren insgesamt drei. Sie wuchsen rasch. Selbst wenn er sich den Zweiern gegenüber nicht verraten hätte: Über kurz oder lang, zum Beispiel durch das Absetzen seiner Kappe, wären sie sich über seine wahre Natur klargeworden. »Mir scheint, ich bin ebenso ›grotesk‹ wie du«, sagte er leise.
Der Dreier schnaufte kurz. »Komm mit!«
Sie wanderten durch den Wald und folgten dem Verlauf des Pfades, der eine Zeitlang an der Klippenwand vorbeiführte. Nach einer Weile erreichten sie ein Tal. Hinter einem Teich stand ein großes Haus aus Stein, zu beiden Seiten flankiert von hohen Türmen mit konischen und spitz zulaufenden Dächern. Zwar waren die Gebäude bereits alt und verwittert, doch sie beeindruckten Ern sehr.
Durch ein hölzernes Portal führte der Dreier seinen Begleiter auf einen Innenhof, der das Erstaunen Erns weckte. Bewundernd sah er sich um. Am gegenüberliegenden Ende erweckten einige große Granitblöcke und eine überhängende Felsplatte den Eindruck, sich in einem Gewölbe zu befinden, in einer riesigen Grotte. Wasser plätscherte, und an einigen Stellen wuchsen weiches und schwarzes Moos und farblose Zykadeen.
In einem Bereich erkannte Ern etwas, das er für ein Lager hielt: Eine große Bastmatte bedeckte den mit weichem Torf ausgelegten Boden. Die offenen Abschnitte kamen einem Sumpfgarten gleich, und Ern nahm den Geruch von Riedgras, Wasserpflanzen und harzigem Holz wahr. Ebenso verblüffend wie wundervoll, dachte Ern. Weder die Einer noch die Zweier konstruierten etwas, das anderen als unmittelbar praktischen Zwecken diente.
Der Dreier führte Ern durch den Hof und in eine steinerne Kammer. Auf der einen Seite rieselte ebenfalls erfrischende Nässe herab, und festgetretener Torf bildete eine angenehm weiche Schicht auf dem Granit. Unter der Decke lagerte die Habe des Dreiers: Töpfe und kleine Kisten, ein Tisch, ein Schrank, Werkzeuge und Utensilien.
Der Dreier deutete auf eine Sitzbank. »Nimm Platz!«
Ern kam der Aufforderung sofort nach.
»Hast du Hunger?«
»Nein.«
»Wie wurde der Schwindel entdeckt, von dem du mir vorhin berichtet hast?«
Ern schilderte die Vorgänge, durch die er sich verraten hatte. Der Dreier gab durch nichts zu erkennen, ein derartiges Verhalten zu mißbilligen, und das machte Ern wieder Mut. »Ich habe schon lange vermutet, anders zu sein als die gewöhnlichen Zweier.«
»Ganz offensichtlich bist du ein Dreier«, sagte der Hüne. »Im Gegensatz zu den Zweier-Neutren sind Dreier eindeutig männlichen Geschlechts, und das erklärt auch
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