Grüne Tomaten: Roman (German Edition)
in den Salon zurückkehrte, hatte ihre Freundin alles aufgegessen. »Ach, meine Liebe, ich weiß nicht, was ich getan habe, um ein solches Festmahl zu verdienen. Wie Sie mich verwöhnen … So was Gutes habe ich nicht mehr gekriegt, seit das Café geschlossen wurde.«
»Oh, Sie verdienen es, verwöhnt zu werden.«
»Das weiß ich nicht, und ich hab auch keine Ahnung, warum Sie so nett zu mir sind. Aber ich weiß es zu schätzen. Und ich danke dem Allmächtigen jeden Abend dafür und bitte Ihn, Sie zu beschützen.«
»Das weiß ich.« Evelyn saß bei Mrs. Threadgoode, hielt ihre Hand und sagte, sie würde für eine Weile verreisen und ihr bei der Rückkehr eine Überraschung mitbringen.
»Ah, ich liebe Überraschungen! Ist sie größer als eine Brotdose?«
»Das kann ich nicht verraten, sonst ist es keine Überraschung mehr.«
»Da haben Sie recht. Nun, dann kommen Sie recht bald wieder. Sie müssen doch wissen, dass ich’s kaum erwarten kann. Vielleicht eine Muschelschale … Sie fliegen nach Florida? Opal und Julian schickten mir eine Muschelschale aus Florida.«
Evelyn schüttelte den Kopf. »Das ist es nicht. Und jetzt stellen Sie keine Fragen mehr. Sie müssen sich eben gedulden.« Sie gab ihr einen Zettel. »Ich habe Ihnen meine Adresse und die Telefonnummer aufgeschrieben. Rufen Sie mich an, wenn Sie mich brauchen, okay?«
Mrs. Threadgoode versprach es und umklammerte Evelyns Hand, bis es an der Zeit war, Abschied zu nehmen. Die Frauen gingen zur Tür, wo Ed wartete.
»Wie fühlen Sie sich heute, Mrs. Threadgoode?«, erkundigte er sich.
»Oh, danke, großartig – vollgestopft mit gebratenen grünen Tomaten und Limabohnen, die mir unser Mädchen mitgebracht hat.«
Evelyn umarmte sie, und in diesem Moment marschierte eine hühnerbrüstige Frau im Nachthemd und Fuchspelz heran und verkündete mit dröhnender Stimme: »Jetzt müsst ihr alle ausziehen. Mein Mann und ich haben dieses Haus gekauft. Um sechs Uhr müssen alle verschwunden sein.« Dann stolzierte sie weiter den Flur hinab und terrorisierte alle anderen alten Damen im Rose Terrace.
Evelyn schaute Mrs. Threadgoode an. »Vesta Adcock?«
Ihre Freundin nickte. »Allerdings. Was habe ich Ihnen gesagt? Das arme Ding hat nicht mehr alle Tassen im Schrank.« Lachend winkte Evelyn ihr zum Abschied. Mrs. Threadgoode winkte zurück und rief ihr nach: »Kommen Sie bald wieder? Und schicken Sie einer alten Frau mal eine Ansichtskarte, ja?«
U NITED A IRLINES , F LUG 763
V ON B IRMINGHAM NACH L.A.X.
14. Oktober 1986
Vor sieben Jahren war Evelyn Couch während eines Einkaufsbummels am Goldboro’s Radio and TV Center vorbeigegangen. Auf einem der Bildschirme in der Auslage sah sie eine dicke Frau, die ihr vage bekannt vorkam. Sie überlegte, wer die Person sein mochte und in welcher Sendung sie auftrat. Die Frau schien sie direkt anzustarren, und dann merkte sie es – o Gott, das bin ja ich! Sie beobachtete sich selbst auf dem TV-Monitor und erschauerte vor Entsetzen.
Zum ersten Mal war ihr die eigene Leibesfülle bewusst geworden. Im Lauf der Jahre hatte sie allmählich zugenommen. Und nun glich sie ihrer Mutter.
Danach probierte sie jede Diät aus, die man jemals ersonnen hatte, aber sie hielt keine durch. Auch bei der Diät »Letzte Chance« versagte sie. Zweimal.
Sie trat einem Fitnessclub bei. Aber nachdem sie sich in das grässliche Trikot gezwängt hatte, war sie so erschöpft, dass sie nach Hause fuhr und ins Bett sank.
Einem Artikel in Cosmopolitan entnahm sie, die Ärzte seien nun imstande, das Fett abzusaugen. Dieser Behandlung hätte sie sich unterzogen, wäre da nicht diese grausige Angst vor Doktoren und Krankenhäusern gewesen.
Und so kaufte sie ihre Garderobe weiterhin in den Läden für Übergrößen und freute sich, wann immer sie dort Kundinnen sah, die noch fetter waren als sie. Um solche Glücksmomente zu feiern, pflegte sie das Pfannkuchenlokal aufzusuchen, das zwei Blocks entfernt lag.
Das Essen war das einzige geworden, worauf sie sich gefreut hatte, Schokolade, Torten und Kuchen der einzige Lebensinhalt …
Aber nach der monatelangen Bekanntschaft mit Mrs. Threadgoode hatten sich die Dinge geändert. Ninny gab ihr das Gefühl, noch jung zu sein. Und Evelyn begann sich als eine Frau zu betrachten, vor der noch das halbe Leben lag. Ihre Freundin traute ihr wirklich und wahrhaftig zu, Mary-Kay-Kosmetika zu verkaufen. Zuvor hatte niemand gedacht, sie könnte irgendetwas leisten, oder an sie geglaubt – am allerwenigsten
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