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Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Titel: Grüne Tomaten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fannie Flagg
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erklärte er: »Grandma hat einen weißen Mann umgebracht.«
    Der Mond war hinter Wolken verschwunden, und Big George konnte das Gesicht des Jungen nicht sehen. »Du wirst auch bald tot sein, wenn ich herausfinde, was wirklich passiert ist.«
    Sipsey wartete im Hof, und Big George bückte sich, um Franks kalten Arm zu betasten. Der ragte unter dem Laken hervor, mit dem sie den Toten zugedeckt hatte. Der große Schwarze trat zurück und stemmte die Hände in die Hüften. »Hm, hm … Diesmal hast du’s geschafft, Momma.« Während er noch den Kopf schüttelte, traf er eine Entscheidung. In Alabama war ein Schwarzer, der einen Weißen getötet hatte, rettungslos verloren. Und so kam es ihm gar nicht in den Sinn, etwas anderes zu tun, als seinen Plan durchzuführen.
    Er hob die Leiche hoch und warf sie über seine Schulter. »Komm, mein Junge«, befahl er und trug seine Last in den Holzschuppen am anderen Ende des Hinterhofs. Dort legte er sie auf den festgestampften Erdboden und sagte zu Artis: »Du bleibst hier, bis ich wieder da bin, und rührst dich nicht von der Stelle. Ich muss den Lieferwagen loswerden.«
    Eine Stunde später kehrten Idgie und Ruth heim. Das Baby lag im Bettchen und schlief. Idgie fuhr Sipsey nach Hause und gestand, wie sehr sie sich um die kranke Momma Threadgoode sorge. Die Schwarze verschwieg, dass das Kind beinahe entführt worden wäre.
    Nervös und aufgeregt harrte Artis die ganze Nacht im Schuppen aus, hockte auf den Fersen, wiegte sich hin und her. Gegen vier Uhr konnte er nicht mehr widerstehen. Er klappte sein Messer auf, und im pechschwarzen Dunkel stach er in die Leiche unter dem Tuch, einmal, zweimal, dreimal, viermal und noch öfter.
    Bei Sonnenaufgang öffnete sich die knarrende Tür, und Artis machte sich in die Hose. Es war sein Daddy. Er hatte den Lieferwagen in den Fluss geschoben, draußen beim Wagenrad-Club, und war zu Fuß zurückgegangen, zehn Meilen weit. Während er das Laken wegzog, murmelte er: »Wir müssen seine Kleider verstecken …« Abrupt verstummte er, beide starrten auf den Toten.
    Das Sonnenlicht drang durch die Ritzen der Bretterwand in den Schuppen, und Artis schaute den Vater mit großen Augen an. »Der weiße Mann hat keinen Kopf mehr.«
    Big George kratzte sich am Kinn. »Hm …« Seine Mutter hatte den Kopf des Toten abgehackt und irgendwo begraben. Er nahm sich nicht lange Zeit, um diese grausige Tatsache zu verdauen. »Los, hilf mir mit den Kleidern.«
    Nie zuvor hatte Artis einen nackten Weißen gesehen. Der Mann war ganz hell und rosig, wie die Schweine, wenn sie enthaart und gekocht waren. Big George drückte ihm das Laken und die blutigen Kleider in die Hände und trug ihm auf, damit in den Wald zu laufen und alles zu verscharren, ganz tief. Dann solle er nach Hause gehen und niemandem etwas erzählen. Niemals.
    Als Artis eine Grube aushob, lächelte er unwillkürlich. Er hatte ein Geheimnis – ein ungeheuerliches Geheimnis, das er bis an sein Lebensende hüten, das ihm Kraft geben würde, wann immer er sich schwach fühlte. Etwas, das nur der Teufel und er selber wussten … Dieser Gedanke gefiel ihm. Nie wieder würde er Zorn, Schmerz oder Erniedrigung empfinden, nichts von alldem, was so viele Schwarze quälte. Er war anders. Stets würde er sich von den meisten Angehörigen seiner Rasse unterscheiden. Er hatte einen weißen Mann erstochen …
    Und jedes Mal, wenn die Weißen ihm Kummer bereiteten, würde er innerlich lächeln. Einen von euch habe ich schon erstochen …
    Um halb acht hatte Big George schon begonnen, die Schweine zu schlachten. Nun brachte er das Wasser im großen schwarzen Eisenkessel zum Kochen – vielleicht etwas früh in diesem Jahr, aber nicht zu früh.
    Am Nachmittag fiel Artis beinahe in Ohnmacht, während Grady und die beiden Polizisten aus Georgia seinen Daddy nach dem vermissten Weißen fragten. Einer kam nämlich herüber und spähte in den Topf. Und der Junge fürchtete, der Mann hätte Frank Bennetts Arm zwischen den kochenden Schweineteilen wippen sehen. Aber offensichtlich doch nicht … Denn zwei Tage später versicherte der fette Beamte aus Georgia, so ein gutes Barbecue habe er noch nie gegessen, und erkundigte sich bei Big George, worin sein Küchengeheimnis bestehe.
    Grinsend erwiderte der Schwarze: »Danke, Sir. Ich denke, das Geheimnis liegt in der Sauce.«

T HE W EEMS W EEKLY
    (W HISTLE S TOP , A LABAMA , W OCHENBLATT )
    10. November 1967
    T OTENSCHÄDEL IN G ARTEN GEFUNDEN
    Wir gratulieren unserer

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