Grüne Tomaten: Roman (German Edition)
ständig.« Sie nahm das Geschenk entgegen, das die Freundin ihr mitgebracht hatte. »Oh Schätzchen – sind das Honigbrötchen?«
»Oh ja. Ich habe Ihnen davon erzählt. Erinnern Sie sich?«
»Natürlich.« Die alte Frau hielt ein Brötchen hoch. »Sehen Sie nicht himmlisch aus? Wie die Dixie-Cremekrapfen. Vielen Dank … Haben Sie schon mal einen Dixie-Cremekrapfen gegessen? Flaumig wie Federn … Ich sagte oft zu Cleo: ›Wenn du irgendwo Dixie-Cremekrapfen siehst, bring Albert und mir ein Dutzend mit, sechs glasierte und sechs mit Marmelade.‹ Ich mag auch diese verbogenen, wie französische Zöpfe – ich weiß nicht, wie man sie nennt …«
Evelyn hielt es nicht länger aus. »Bitte, Mrs. Threadgoode, sagen Sie mir, was bei dem Prozess passiert ist.«
»Sie meinen Idgies und Big Georges Prozess?«
»Genau.«
»Also, das war was … Wir machten uns alle schreckliche Sorgen und dachten, sie würden nie mehr nach Hause kommen. Aber sie wurden freigesprochen. Cleo berichtete, sie hätten einwandfrei beweisen können, wo sie zum Zeitpunkt des vermeintlichen Mordes gewesen waren. Also konnten sie’s nicht getan haben. Er meinte auch, Idgie sei nur vor Gericht erschienen, um jemand anderen zu schützen.«
Evelyn überlegte kurz. »Wer hatte denn sonst noch ein Interesse daran, Frank Bennett zu töten?«
»Es kam nicht darauf an, wer’s wollte, sondern wer’s vielleicht getan hat. Das war die Frage. Manche verdächtigten Smokey Lonesome, andere tippten auf Eva Bates und ihre Bande am Fluss – das waren wirklich hartgesottene Kerle. Und der Dillgurkenclub – die hielten alle zusammen wie Pech und Schwefel. Es ist schwer zu sagen. Und dann …« Mrs. Threadgoode verstummte für ein paar Sekunden. »Da war auch noch Ruth selber.«
»Ruth?«, wiederholte Evelyn erstaunt. »Aber wo war sie in der Mordnacht? Das muss doch irgendjemand wissen.«
Die alte Dame schüttelte den Kopf. »Nun, das ist es ja, Schätzchen. Niemand weiß es mit Sicherheit. Idgie behauptete, sie seien im großen Haus gewesen, zu Besuch bei Momma Threadgoode, die damals krank war. Und ich glaube ihr. Aber einige Leute wunderten sich. Ich weiß nur, dass Idgie bereitwillig ins Grab gesunken wäre, ehe sie eine Mordanklage gegen Ruth geduldet hätte.«
»Und man fand nie heraus, wer’s war?«
»Nein – nie.«
»Wenn Idgie und Big George den Mann nicht umbrachten – wer könnte es nach Ihrer Meinung gewesen sein?«
»Das ist die Hundert-Dollar-Frage, nicht wahr?«
»Wüssten Sie’s gern?«
»Natürlich. Wen würde das nicht interessieren? Es ist eines der großen Rätsel auf dieser Welt. Aber niemand wird’s jemals wissen – außer dem Täter und Frank Bennett. Und Tote erzählen keine Geschichten.«
D AS J IMMY -H ATCHER -F ÜRSORGEHEIM
345 23 RD A VENUE S OUTH , B IRMINGHAM , A LABAMA
23. Januar 1969
Smokey Lonesome saß auf seiner Seite des Eisenbetts im Heim und hustete sich durch die erste Zigarette des Tages. Nachdem Idgie das Café geschlossen hatte, war er eine Zeit lang durch das Land gewandert. In Birmingham bekam er einen Job als Imbisskoch im Straßenbahnspeisewagen Nummer eins, aber seine Trunksucht überwältigte ihn, und er wurde gefeuert.
Zwei Wochen später lag er bewusstlos unter dem Viadukt der 16th Street. Da fand ihn Bruder Jimmy und brachte ihn ins Fürsorgeheim. Smokey war zu alt, um noch länger herumzuvagabundieren, seine Gesundheit beträchtlich angegriffen, und er hatte fast alle Zähne verloren, Bruder Jimmy und seine Frau hatten ihn gewaschen und gefüttert, und das Heim war nun seit fünfzehn Jahren mehr oder weniger sein Zuhause.
Bruder Jimmy, ein gütiger Mann und früher selbst ein Trunkenbold, hatte – wie er es ausdrückte – die »lange Reise von Jack Daniels zu Jesus« gemeistert und danach beschlossen, sein Leben anderen Unglücklichen zu weihen und ihnen zu helfen. Er betraute Smokey mit der Küchenaufsicht. Die Mahlzeiten bestanden hauptsächlich aus tiefgekühlten Resten, den Spenden mildtätiger Bürger. Meistens gab es nur Fischstäbchen und Kartoffelbrei, aber niemand beschwerte sich.
Wenn Smokey nicht in der Küche arbeitete oder betrunken war, verbrachte er seine Zeit im Oberstock, schlürfte Kaffee und spielte Karten mit den anderen Männern. In diesem Heim hatte er viel mit angesehen – einen Mann, der nur einen Daumen besaß und hier seinen Jungen zum ersten Mal nach dessen Geburt wiedertraf, Vater und Sohn, beide vom Pech verfolgt, waren gleichzeitig zur selben Zeit am
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