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Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Titel: Grüne Tomaten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fannie Flagg
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Intensivstation erinnerte.

T HE W EEMS W EEKLY
    (W HISTLE S TOP , A LABAMA , W OCHENBLATT )
    16. Mai 1934
    D ER T ASCHENRATTENBISS
    Bertha Vic berichtete, in der Freitagnacht gegen zwei Uhr sei sie ins Bad gegangen und von einer Taschenratte gebissen worden, die sich durch irgendein Leitungsrohr hereingeschlichen und in der Toilette versteckt habe. Sie rannte zu Harold und weckte ihn, aber er glaubte ihr nicht. Trotzdem schaute er nach, und da sah er die Ratte in der Kloschüssel schwimmen.
    Meine andere Hälfte meinte, das Hochwasser müsse das Biest ins Rohr gespült haben. Bertha sagte, die Ursache sei ihr egal. Von nun an würde sie immer genau nachsehen, ehe sie sich irgendwo hinsetzt.
    Harold lässt die Taschenratte ausstopfen.
    Hat sonst noch jemand eine hohe Stromrechnung in diesem Monat? Meine ist enorm, und das finde ich seltsam, weil Wilbur eine Woche lang mit seinem Bruder Alton beim Angeln war. Und er ist es, der immer das Licht brennen lässt. Geben Sie mir Bescheid.
    Übrigens, Essie Rue hat einen Job drüben in Birmingham. Sie spielt Orgel in der Radiosendung von W. A. P. L, die von der »Versicherungsgesellschaft zum Schutz des Lebens« veranstaltet wird. Also hören Sie zu.
    Dot Weems

P FLEGEHEIM T ERRACE H OME
    O LD M ONTGOMERY H IGHWAY , B IRMINGHAM , A LABAMA
    19. Januar 1986
    Mrs. Threadgoode vermutete, Evelyn wäre diesen Sonntag nicht ins Heim gekommen, und wanderte zum Seitenkorridor, den man für Spaziergänger und Rollstuhlfahrer reservierte. Als sie um die Ecke bog, sah sie Evelyn ganz allein in einem der Rollstühle sitzen und einen Schokoladenriegel verspeisen. Tränen rollten über ihre Wangen. Bestürzt eilte die alte Dame zu ihr. »Was ist denn los, Schätzchen?«
    »Ich weiß nicht …« Evelyn sah zu ihr auf, weinte weiter und aß ihre Schokolade.
    »Kommen Sie, nehmen Sie Ihre Tasche. Wir gehen ein bisschen spazieren.« Mrs. Threadgoode nahm Evelyn bei der Hand, zog sie aus dem Rollstuhl und führte sie den Flur entlang. An dessen Ende machten sie wieder kehrt. »Nun erzählen Sie mir, warum Sie so traurig sind.«
    »Ich weiß es nicht.« Evelyn brach in Schluchzen aus.
    »So schlimm kann’s doch gar nicht sein, meine Liebe. Fangen Sie ganz von vorn an. Also, was bedrückt Sie?«
    »Nun ja – seit meine Kinder aufs College gehen, fühle ich mich so unnütz.«
    »Das ist verständlich. Jeder hat das durchgemacht.«
    »Und – ich kann einfach nicht zu essen aufhören«, fuhr Evelyn fort. »Immer wieder hab’ ich’s versucht. Jeden Morgen, wenn ich aufwache, beschließe ich, heute bei meiner Diät zu bleiben. Und jeden Tag werde ich schwach. Im ganzen Haus und in der Garage verstecke ich Süßigkeiten. Ich weiß nicht, was mit mir los ist.«
    »Hin und wieder ein Schokoladenriegel – das wird Ihnen nicht schaden.«
    »Einer ist okay – aber nicht sechs oder acht. Ich wünschte, ich hätte den Mut, richtig fett zu werden und es dabei bewenden zu lassen – oder ich besäße die Willenskraft abzunehmen. Aber ich bleibe irgendwo dazwischen stecken. Für mich kam die Emanzipation zu spät. Ich war schon verheiratet und hatte zwei Kinder, als ich herausfand, dass ich gar nicht hätte heiraten müssen. Immer dachte ich, das wäre notwendig. Was wusste ich denn schon? Und jetzt lässt sich nichts mehr ändern. Ich habe das Gefühl, das Leben wäre einfach an mir vorbeigegangen.« Evelyn wandte sich zu ihrer Begleiterin, immer noch tränenüberströmt. »Oh, Mrs. Threadgoode, ich bin zu jung, um alt zu sein, und zu alt, um jung zu sein. Nirgendwo passe ich hin. Ich wünschte, ich könnte mich töten, aber dazu bin ich zu feige.«
    Die alte Frau war entsetzt. »Evelyn Couch, an so was dürfen Sie nicht mal denken. Das ist genauso, als würden Sie Jesus ein Schwert zwischen die Rippen stoßen. Schätzchen, Sie reden nur dummes Zeug, Sie müssen sich zusammennehmen und dem Allmächtigen Ihr Herz öffnen. Er wird Ihnen helfen. Und jetzt will ich Sie was fragen: Schmerzen Ihre Brüste?«
    Evelyn schaute sie verwundert an. »Ja, manchmal.«
    »Auch der Rücken und die Beine?«
    »Ja, wieso wissen Sie das?«
    »Ganz einfach, meine Liebe. Sie leiden nur unter den Wechseljahren, das ist alles. Sie müssen mit Hormonen behandelt werden, täglich an die frische Luft gehen und sich am eigenen Schopf aus der Misere ziehen. Das tat ich damals auch. Ich brach in Tränen aus, wenn ich ein Steak aß, weil ich an die arme Kuh denken musste. Und ich machte Cleo verrückt, denn ich heulte ständig und

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