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Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Titel: Grüne Tomaten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fannie Flagg
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glaubte, niemand würde mich lieben. Wann immer ich Cleo auf die Nerven fiel, sagte er: ›Jetzt wird’s wieder Zeit für deine B-12-Spritze.‹ Und er gab mir die Injektion in den Hintern. Jeden Tag ging ich spazieren, immer an den Bahngleisen entlang, immer auf und ab, so wie wir’s jetzt tun. Und bald hatte ich alles überstanden und war wieder normal.«
    »Ich dachte, für die Wechseljahre wäre ich noch zu jung – erst achtundvierzig …«
    »Oh, bei vielen Frauen fängt’s so früh an. Drüben in Georgia stieg mal eine Sechsunddreißigjährige in ihr Auto, fuhr die Eingangstreppe des County-Gerichtsgebäudes hinauf, kurbelte das Fenster runter und warf den Kopf ihrer Mutter, den sie kurz davor in der Küche abgehackt hatte, auf einen Polizisten. ›Da habt ihr, was ihr wolltet!‹, schrie sie und fuhr die Stufen wieder hinunter. So was können verfrühte Wechseljahre anrichten, wenn man nicht aufpasst.«
    »Und Sie glauben, ich wäre nur deshalb so verwirrt und reizbar?«
    »Klar. Oh, das kann schlimmer sein als eine Achterbahn, immer rauf und runter, rauf und runter. Und was Ihr Gewicht betrifft – Sie wollen doch keine Bohnenstange sein. Schauen Sie sich die alten Leute hier an. Die meisten bestehen nur aus Haut und Knochen. Oder besuchen Sie mal die Krebsabteilung im Baptistenhospital. Die Leute dort wären froh, wenn sie ein paar Pfund mehr hätten. Diese armen Seelen strengen sich gewaltig an, um ihr geringes Gewicht zu halten. Also hören Sie auf, sich wegen Ihrer Figur zu grämen, und seien Sie froh, dass Sie gesund sind! Und lesen Sie jeden Morgen Ihren neunzigsten Psalm, das wird Ihnen genauso helfen wie mir.«
    Evelyn fragte, ob Mrs. Threadgoode jemals deprimiert gewesen sei, und die alte Dame antwortete wahrheitsgemäß: »In letzter Zeit eigentlich nicht. Ich bin viel zu sehr damit beschäftigt, dem lieben Gott für seine Wohltaten zu danken, und ich genieße so viele, dass ich sie gar nicht zählen kann. Verstehen Sie mich nicht falsch – jeder hat seine Sorgen, und manchen trifft’s besonders hart.«
    »Aber Sie sehen so aus, als wären Sie nie im Leben unglücklich gewesen.«
    Da musste Mrs. Threadgoode lachen. »Oh Schätzchen, ich hatte auch meine Kümmernisse, und eins tat so weh wie das andere. Es gab Zeiten, wo ich mich fragte, warum der Allmächtige mir so viel aufbürdete, und ich dachte, ich könnte es keinen Tag länger ertragen. Aber Er mutet einem immer nur das zu, was man verkraften kann, nicht mehr. Und eins sage ich Ihnen – vergraben Sie sich nicht in Ihrem Seelenschmerz, das macht Sie schneller krank als sonst was auf der Welt.«
    »Ja, Sie haben recht, das weiß ich. Ed sagte, ich soll zu einem Psychiater gehen.«
    »Das müssen Sie nicht, meine Liebe. Wenn Sie mit jemandem reden wollen, kommen Sie ganz einfach zu mir. Ich unterhalte mich gern mit Ihnen und bin froh, wann immer ich Gesellschaft habe.«
    »Danke, Mrs. Threadgoode, das werde ich tun.« Evelyn schaute auf ihre Uhr. »Jetzt muss ich gehen. Ed wird wütend auf mich sein.«
    Sie öffnete ihre Handtasche und schnäuzte sich in ein Papiertaschentuch, in das sie vorher mehrere schokoladenüberzogene Erdnüsse gewickelt hatte. »Wissen Sie, nun fühle ich mich wirklich besser.«
    »Das freut mich, und ich werde für Ihre Nerven beten, Schätzchen. Gehen Sie in die Kirche, bitten Sie den Herrn, Ihnen über diese schweren Zeiten hinwegzuhelfen, so wie Er’s oft für mich getan hat.«
    »Danke – bis nächste Woche.« Evelyn eilte den Flur hinab.
    Die alte Frau rief ihr nach: »Und inzwischen besorgen Sie sich ein paar Stresstabletten Nummer zehn!«
    »Nummer zehn!«
    »Ja! Nummer zehn!«

T HE W EEMS W EEKLY
    (W HISTLE S TOP , A LABAMA , W OCHENBLATT )
    8. Juli 1935
    E IN H IT IM T HEATERCLUB
    Am Freitagabend fand die Jahrespremiere des Theaterclubs von Whistle Stop statt, und ich muss sagen – wirklich gute Arbeit, Mädchen.
    Das Stück heißt »Hamlet«, und es wurde von einem Engländer namens Mr. William Shakespeare verfasst, der in Whistle Stop kein Unbekannter ist, denn er hat auch das Stück vom Vorjahr geschrieben.
    Der Hamlet wurde von Earl Adcock, jr., gespielt, sein Liebchen von Dr. Hadleys Nichte Mary Bess, die aus der Stadt zu Besuch gekommen ist. Falls Sie die Aufführung versäumt haben – am Schluss bringt sich das Mädchen um. Leider muss ich erwähnen, dass ich Mary Bess kaum gehört habe. Jedenfalls finde ich, das Kind ist noch zu jung, um auf Reisen zu gehen.
    Reverend Scroggins und Vesta

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