Grüne Tomaten: Roman (German Edition)
gesprochen, als Idgie ins Haus kam und nach oben ging. Wir hörten, wie das Wasser im Bad rauschte, und fünf Minuten später stieg Idgie, die sonst nie mit uns speiste, die Treppe herab.
Momma schaute uns an und wisperte: ›Hört mal, Kinder, Idgie hat einen Schwarm, und ich will nicht, dass sie ausgelacht wird, verstanden?‹
Wir versprachen, nicht zu lachen, und da betrat Idgie das Zimmer – das Gesicht rosig geschrubbt, das Haar mit irgendeiner alten Pomade, die sie im Apothekenschränkchen gefunden hatte, an den Kopf geklebt – welch ein Anblick! Aber wir verkniffen uns das Lachen. Ruth fragte sie nur, ob sie noch mehr grüne Bohnen wolle. Da wurde Idgie so rot, dass ihre Ohren wie Tomaten glühten. Patsy Ruth fing zuerst an, sie kicherte nur ganz leise. Dann Mildred. Dann begann ich, die den anderen immer alles nachmachte. Schließlich konnte sich auch Julian nicht länger beherrschen und spuckte seinen Kartoffelbrei auf die arme Essie Rue, die ihm gegenübersaß.
Es war schrecklich, dass das passierte, aber so war’s nun mal. Momma sagte: ›Ihr dürft euch zurückziehen, Kinder.‹ Da stürmten wir alle in den Salon, warfen uns auf den Boden und krümmten uns vor Lachen. Patsy Ruth pinkelte sich sogar in die Hose. Und was am allerlustigsten war – Idgie saß neben Ruth, und deshalb war sie so verwirrt, dass sie gar nicht merkte, warum wir lachten. Als sie am Salon vorbeikam, schaute sie herein und rief: ›Ich benehmt euch wirklich großartig, wenn wir Gesellschaft haben.‹ Da mussten wir natürlich erst recht lachen.
Bald danach begann sie sich wie ein zahmes junges Hündchen aufzuführen. Ich glaube, in jenem Sommer fühlte Ruth sich einsam. Aber Idgie tat alles, um sie aufzuheitern. Dies war der einzige Abschnitt ihres Lebens, wo Momma alles von ihr verlangen konnte. Momma brauchte Ruth nur zu sagen, was sie von Idgie wollte. Die wäre sogar rückwärts von einer steilen Klippe runtergesprungen, hätte Ruth sie darum gebeten. Das meine ich ernst! Und zum ersten Mal seit Buddys Tod ging Idgie wieder in die Kirche.
Wo immer Ruth war, fand man auch Idgie. Die Gefühle beruhten auf Gegenseitigkeit. Die beiden verstanden sich nun mal großartig, und manchmal, wenn sie auf der Verandaschaukel saßen, hörte man sie den ganzen Abend kichern. Sogar Sipsey witzelte darüber und meinte: ›Der alte Virus namens Liebe hat unsere Idgie gebissen.‹
Wir erlebten einen wunderschönen Sommer. Anfangs war Ruth eher zurückhaltend gewesen, aber sie taute bald auf und spielte mit uns. Und wenn Essie Rue auf dem Klavier klimperte, sang Ruth mit, genauso wie wir alle, so glücklich waren wir. Doch eines Nachmittags sagte Momma zu mir, sie wage gar nicht dran zu denken, was geschehen würde, wenn Ruth im Herbst nach Hause zurückkehren müsse.«
W HISTLE S TOP , A LABAMA
18. Juli 1924
Ruth war seit etwa zwei Monaten in Whistle Stop. An diesem Samstagmorgen, um sechs Uhr, klopfte jemand an ihr Schlafzimmerfenster. Sie schlug die Augen auf und sah Idgie im Zedrachbaum sitzen, die ihr bedeutete, das Fenster zu öffnen.
Noch im Halbschlaf, stieg Ruth aus dem Bett. »Warum bist du so zeitig auf?«
»Du hast versprochen, wir würden heute picknicken.«
»Ich weiß, aber muss das so früh sein? Es ist Samstag.«
»Bitte! Du hast es versprochen. Wenn du nicht sofort rauskommst, springe ich vom Dach und bringe mich um. Was würdest du dann machen?«
Ruth lachte. »Gehen Patsy Ruth, Mildred und Essie Rue nicht mit?«
»Nein.«
»Sollten wir sie nicht wenigstens fragen?«
»Nein. Ich will dich für mich selber haben. Bitte! Außerdem möchte ich dir was zeigen.«
»Vielleicht würde ich ihre Gefühle verletzen.«
»Bestimmt nicht. Die wollen gar nicht mitkommen. Ich habe sie schon gefragt. Sie bleiben lieber daheim – falls ihre blöden Freunde aufkreuzen.«
»Bist du sicher?«
»Klar«, log Idgie.
»Und Ninny und Julian?«
»Die sagten, sie hätten heute was anderes vor. Beeil dich, Ruth! Sipsey richtet schon den Lunch her, nur für uns zwei. Wenn du nicht spurst, springe ich vom Dach, und du hast meinen Tod auf dem Gewissen. Dann liege ich im Grab, und du wirst bitter bereuen, dass du mir dieses Picknick missgönnt hast.«
»Also gut. Aber erlaub mir wenigstens, mich anzuziehen.«
»Mach schnell! Du brauchst dich nicht groß herauszuputzen. Ich warte im Wagen auf dich.«
»Wir nehmen den Wagen?«
»Natürlich. Warum nicht?«
»Okay.«
Idgie verschwieg, dass sie um fünf in Julians Zimmer geschlichen
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