Grüne Tomaten: Roman (German Edition)
Verlegenheit. Der ganze Haushalt kann dich hören.«
» Das ist mir egal!«
Ruth begann die Trümmer aufzuheben.
»Warum wirst du diesen Mann heiraten?«
»Das habe ich dir gesagt.«
» Warum?«
»Weil ich es will – deshalb.«
»Du liebst ihn nicht.«
»Doch.«
»Oh nein, du liebst mich, das weißt du ganz genau.«
»Idgie, ich liebe ihn und werde ihn heiraten.«
Da drehte Idgie völlig durch und kreischte: » Du bist eine Lügnerin, und ich hasse dich! Hoffentlich stirbst du bald! Ich möchte dich nie wiedersehen, solange ich lebe! Ich verabscheue dich!«
Ruth packte sie bei den Schultern und schüttelte sie mit aller Kraft. Tränen strömten über Idgies Wangen, als sie noch lauter schrie: » Ich hasse dich, und ich hoffe, du wirst in der tiefsten Hölle schmoren!«
»Hör auf mit dem Unsinn!« Und ehe Ruth wusste, wie es dazu gekommen war, hatte sie dem Mädchen eine schallende Ohrfeige gegeben.
Idgie starrte sie an, sprachlos, wie betäubt. Sie standen einfach nur da, schauten sich in die Augen, und in diesem Moment wünschte sich Ruth nichts sehnlicher, als das Mädchen in die Arme zu reißen und ganz fest an ihre Brust drücken.
Aber das durfte sie nicht. Sonst würde Idgie sie niemals gehen lassen. Und so tat Ruth etwas, das ihr unendlich schwerfiel. Sie drehte sich einfach um, eilte aus dem Zimmer und schloss die Tür.
P FLEGEHEIM R OSE T ERRACE
O LD M ONTGOMERY H IGHWAY , B IRMINGHAM , A LABAMA
9. Februar 1986
Evelyn hatte einen Karton mit Tacos mitgebracht, von Taco Bell, drei Blocks von ihrem Haus entfernt, und Mrs. Threadgoode war fasziniert. »Das ist mein erstes ausländisches Essen, abgesehen von diesen franko-amerikanischen Spaghetti, und es schmeckt mir.« Sie musterte ihren Taco. »Etwa so groß wie ein Chrystalburger, nicht wahr?«
Weil Evelyn unbedingt noch mehr über Ruth erfahren wollte, versuchte sie das Thema zu wechseln. »Mrs. Threadgoode, ist Ruth in jenem Sommer aus Whistle Stop abgereist oder dageblieben?«
»Die waren so groß wie eine Scheibe Biskuit und mit kleingehackten Zwiebeln bestreut.«
»Was?«
»Die Chrystalburgers.«
»Oh – ja das stimmt, mit kleingehackten Zwiebeln. Und was war mit Ruth?«
»Was soll mit ihr gewesen sein?«
»Ich weiß, dass sie zurückgekommen ist. Fuhr sie in jenem Sommer nach Hause?«
»Ja, das tat sie. Früher bekam man für einen Vierteldollar fünf Stück. Ist das immer noch so?«
»Ich glaube nicht. Wann ist sie abgereist?«
»Wann? Mal sehen. Im Juli oder August … Nein, im August. Jetzt fällt’s mir wieder ein. Wollen Sie das alles wirklich hören? Ich rede und rede und gebe Ihnen nie eine Gelegenheit, irgendwas zu sagen.«
»Das ist schon in Ordnung. Erzählen Sie nur.«
»Interessieren Sie sich wirklich für diese alten Geschichten?«
»Oh ja.«
»Also, Momma und Poppa flehten Ruth gegen Ende August an, dazubleiben. Sie sollte ihnen helfen, Idgie durchs letzte High-School-Jahr zu bugsieren, und dafür wollten sie ihr alles zahlen, was sie verlangte. Aber Ruth erklärte, das könne sie nicht. In diesem Herbst würde sie drüben in Valdosta ihren Verlobten heiraten. Das war natürlich das allerletzte, was sie sich wünschte, und Sipsey wies Momma darauf hin. Sie erzählte, jeden Morgen sei Ruths Kissen ganz nass geweint.
Ich weiß nicht, was Ruth am Abend vor ihrer Abreise mit Idgie besprach. Aber wir hörten, wie Idgie in ihr Zimmer lief, und dort machte sie einen Krach, wie ich’s nie zuvor erlebt hatte – wie ein verrückter Esel in einem Blechstall. Sie zerbrach alle Fensterscheiben, zertrümmerte Buddys Football-Trophäen und alles, was sie sonst noch fand. Es war grauenhaft. Ich hätte mich nicht in die Nähe dieses Zimmers gewagt, weder für Geld noch für Liebe.
Am nächsten Morgen kam sie nicht mal auf die Veranda hinaus, um sich von Ruth zu verabschieden. Erst Buddy, dann Ruth … Das verkraftete sie einfach nicht. Am nächsten Tag war Idgie verschwunden. Sie ging nicht mehr auf die Schule. Das Abschlussjahr fehlte ihr für alle Zeiten. Ab und zu tauchte sie im Haus auf – als Poppa den Herzanfall bekam, als Julian und die Mädchen heirateten. Big George war der einzige, der wusste, wo sie wohnte, und er verriet es nie. Wann immer Momma sie brauchte, sagte sie es George, und er erwiderte, er würde Idgie Bescheid geben, wenn er sie zufällig mal treffe. Aber sie erfuhr es jedes Mal und kam nach Hause. Was ihren Aufenthaltsort betraf – da hab’ ich natürlich eine ganz bestimmte Theorie
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