Grüne Tomaten: Roman (German Edition)
beglückten Idgie und Ruth ein paar von unseren Kindern. Sie gingen mit ihnen in den Avondale Park und besuchten Miss Fancy, die berühmte Elefantendame, die bei jung und alt gleichermaßen beliebt ist. Alle ließen sich mit Miss Fancy fotografieren. Wenn die Bilder entwickelt sind, können sie im Drugstore abgeholt werden. Am Donnerstag ist es soweit.
Dr. Cleo Threadgoode kam letzten Freitagabend aus der Mayo Clinic zurück, wo der kleine Albert untersucht worden war. Es tut uns leid, dass er Ninny keine guten Neuigkeiten erzählen konnte. Hoffentlich irren sich die Ärzte. Am Montag ist Cleo wieder in seiner Praxis.
Dot Weems
P FLEGEHEIM R OSE T ERRACE
O LD M ONTGOMERY H IGHWAY , B IRMINGHAM , A LABAMA
15. März 1986
Heute aßen sie Cracker und redeten. Zumindest redete Mrs. Threadgoode.
»Wissen Sie, ich hatte gehofft, ich könnte zu Ostern wieder zu Hause sein. Aber es sieht so aus, als würde ich’s nicht schaffen. Mrs. Otis hat sich immer noch nicht eingelebt, aber nun hat sie sich für diesen Kunstkurs angemeldet. Da macht Ihre Schwiegermutter auch mit. Geneene sagt, zu Ostern wollen sie Eier verstecken und ein paar Schulkinder einladen, die sie suchen sollen. Das wird sicher lustig …
Ich habe Ostern immer geliebt, schon in der Kindheit. Und ich liebte alles, was dazugehörte. Als wir noch klein waren, saßen wir jeden Ostersamstag abends in der Küche und färbten Eier. Um das goldene Osterei kümmerte sich Momma Threadgoode immer selbst.
Am Ostermorgen trugen wir alle neue Kleider und brandneue Buster-Brown-Schuhe aus Poppas Laden. Nach dem Gottesdienst setzten Momma und Poppa uns in die Straßenbahn, und wir fuhren nach Birmingham und zurück, während sie im Garten etwa zweihundert Ostereier versteckten. Es gab alle möglichen Preise, aber der schönste war das Goldei.
Als ich es fand, war ich dreizehn. Zwei Stunden waren wir im Garten herumgelaufen, ohne das goldene Ei aufzustöbern. Schließlich blieb ich stehen, um mich ein wenig auszuruhen. Und da fiel mein Blick auf etwas Glänzendes unter der Schaukel. Und da lag das Ei, versteckte sich im Gras, als hätte es auf mich gewartet. Essie Rue war außer sich vor Wut, denn sie hatte es selber finden wollen. In jenem Jahr war der große Preis ein zitronengelbes durchsichtiges Ei, mit funkelndem Staub beklebt, und darin sah man eine winzige Familie. Mutter, Vater, zwei kleine Mädchen und ein Hund standen vor einem Haus, das unserem glich. Stundenlang konnte ich in dieses Ei schauen. Was ist wohl daraus geworden? Ich glaube, wir verkauften es während des Ersten Weltkriegs bei einem Wohltätigkeitsbasar auf unserer Veranda.
Der Ostersonntag war immer ein Glückstag für mich. An diesem Tag ließ mich der Allmächtige wissen, dass ich Albert bekommen würde.
Wenn ich an die Sorgen anderer Leute denke, erkenne ich, wie froh ich sein muss, weil ich Cleo hatte. Einen besseren Mann konnte ich mir nicht wünschen. Er drehte sich nicht nach anderen Frauen um, trank nicht und war sehr klug. Ich prahlte nicht, das tu ich nie, aber es ist einfach die Wahrheit. Er hatte ein großartiges Gedächtnis. Nie musste er in irgendwelchen Nachschlagewerken nachschauen, und ich nannte ihn mein ›wandelndes Wörterbuch‹. Wann immer ich irgendwas schreiben musste und Probleme hatte, rief ich: ›Daddy, wie buchstabiert man dieses oder jenes Wort?‹ Und er wusste es jedes Mal. Auch von Geschichte verstand er sehr viel. Wenn man ihn nach Daten fragte, antwortete er wie aus der Pistole geschossen. Und keiner war so versessen drauf, Arzt zu werden wie Cleo. Es brach ihm das Herz, als er nach Poppas Tod sein Medizinstudium aufgeben musste, aber ich hörte ihn nie darüber klagen.
Und er war so beliebt. Da können Sie alle fragen, die ihn kannten. Jeder wird Ihnen sagen, dass es auf der ganzen Welt keinen netteren Menschen gab als Cleo Threadgoode.
Aber junge Mädchen sind komisch. Die wünschen sich romantische Abenteuer. Cleo war eher still. Anfangs wollte ich ihn nicht, aber er mich. Er sagte, er habe seinen Entschluss gefasst, als er das erste Mal vom College nach Hause gekommen war. Da sah er mich in der Küche, wo ich Sipsey half, auf dem großen weißen Blechtisch Biskuits aufzuschneiden.
Er ging in den Salon zu Momma und Poppa Threadgoode und verkündete: ›Ich werde dieses große Mädchen heiraten, das draußen in der Küche Biskuits schneidet.‹ Innerhalb weniger Sekunden hatte er diese Entscheidung getroffen. Aber so machten es alle Threadgoodes.
Weitere Kostenlose Bücher