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Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Titel: Grüne Tomaten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fannie Flagg
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diese Beruhigungsmittel. Er bildet sich ein, er wäre Romeo – können Sie sich das vorstellen? Und wie er aussieht – wie ein alter Truthahngeier mit seinen großen Schlappohren. Aber was soll’s? Ganz egal, wie ein Mann aussieht, es gibt immer eine Frau, die ihn für den schönsten von der Welt hält. Nun, vielleicht wird er doch noch eine von den alten Frauen einfangen …«

W EST M ADISON S TREET
    C HICAGO , I LLINOIS
    3. Dezember 1938
    Die West Madison Street in Chicago unterschied sich nicht von der Pratt Street in Baltimore, der South Main Street in Los Angeles oder der Third – eine Straße mit Betläden, billigen Pensionen und Hotels, Second-Hand-Läden, Imbissstuben, Pfandleihanstalten. Schnapshandlungen und Bordellen, wo sich jene Freier herumtrieben, die man freundlicherweise als »enttäuschte Männer« bezeichnete.
    Das einzige, was jenes Jahr in Chicago von all den anderen unterschied, war die Tatsache, dass Smokey Lonesome von einem Freund begleitet wurde. Der mochte zwar noch ein halbes Kind sein, aber er leistete ihm immerhin Gesellschaft. Vor über einem Monat hatten sie sich in Michigan getroffen.
    Er war ein hübscher Junge mit frischem Gesicht, trug zerlumpte braune Hosen und einen dünnen blaugrauen Pullover über einem braunen Hemd. Seine Haut erinnerte an einen Babyarsch. Noch nicht trocken hinter den Ohren, hatte er in Detroit eine Menge Ärger mit einer miesen Bande gehabt und Smokey gebeten, ob er für eine Weile mit ihm gehen dürfe.
    Smokey gab dieselbe Antwort, die er einmal von einem alten Knaben gehört hatte. »Lauf nach Hause, Junge, solange du’s noch kannst. Mach Schluss mit dieser Lebensart, denn sobald du mal aus einem Frachtwaggon gepinkelt hast, kommst du nicht mehr davon los.«
    Aber es nützte nichts, so wie es bei ihm selber nichts genützt hatte, und so beschloss er, den Jungen mitzunehmen.
    Das war ein komischer Bursche. Beinahe hätte er sich die Hose runtergerissen, weil er in seinen Taschen so hektisch nach einem Zehncentstück kramte. Er wollte unbedingt Sally Rands Fächertanz in »Weiße Vögel im Mondlicht« sehen, wie’s auf dem Plakat stand. Das Zehncentstück fand er nicht, aber er tat der Frau an der Kasse so leid, dass sie ihn umsonst hineinließ.
    Smokey stahl einen Vierteldollar, während er wartete, bis der Junge aus der Aufführung kam. Er wollte mit ihm Zent-Cent-Steaks drüben im Tile Grill kaufen. An diesem Tag hatten sie noch nichts gegessen außer einer Dose Wiener Würstchen mit altbackenen Crackern. Nun rauchte er gerade eine Lucky Strike – in einer zerknüllten Zigarettenpackung gefunden, die jemand weggeworfen hatte –, als der Junge hellauf begeistert aus dem Theater stürmte. »Oh Smokey, du hättest sie sehen sollen! Das schönste, zarteste Ding, das man sich vorstellen kann. Wie ein Engel, ein lebendiger Engel, der vom Himmel runtergestiegen ist.«
    Beim Dinner redete er unentwegt von ihr. Nachdem sie die Steaks verschlungen hatten, fehlten ihnen dreißig Cent für ein Hotelzimmer. Und so gingen sie in den Grant’s Park und hofften, dort in einem der Schuppen aus Teerpappe und Brettern schlafen zu können. Wenn man Glück hatte, fand man einen. Und an diesem Abend hatten sie Glück.
    Vor dem Einschlafen bat der Junge wie in jeder Nacht: »Erzähl mir, wo du überall warst und was du gemacht hast, Smokey.«
    »Das habe ich doch schon erzählt.«
    »Ich weiß, aber ich will’s noch mal hören.«
    Smokey schilderte die Tage in Baltimore, wo er im White-Tower-Hamburgerlokal gearbeitet hatte. Da war es so blitzsauber gewesen, dass man von den schwarz-weißen Bodenfliesen hätte essen können. Und dann sprach er von seinem Job in einer Kohlenmine bei Pittsburgh. »Viele dieser Typen hätten sogar Ratten gefressen, aber das konnte ich nicht. Ich hab’ oft zugesehen, wie diese Tiere Menschenleben retteten. Meins retteten sie auch mal. Ratten sind die ersten, die in einer Mine Gas riechen. Einmal hackte ich mit diesem alten Kerl tief unten im Schacht rum, als plötzlich zweihundert Ratten an uns vorbeisausten, mit sechzig Stundenmeilen. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, aber dieser alte Schwarze warf seine Spitzhacke weg und schrie: ›Lauf!‹ Das tat ich, und das rettete mir das Leben. Oh ja, Sir, ich hab’ großen Respekt vor den Ratten.«
    Der Junge murmelte, schon im Halbschlaf: »Was war dein schlimmster Job, Smokey?«
    »Mein schlimmster Job? Mal sehen … Ich hab’ viele Dinge getan, die ein anständiger Mann nicht

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