Grüne Tomaten: Roman (German Edition)
noch Hure genannt zu werden, war sie Jungfrau geblieben. Und sie hatte geheiratet, um nicht als alte Jungfer zu gelten. Um nicht frigide zu wirken, hatte sie Orgasmen vorgetäuscht. Sie hatte Kinder bekommen, um nicht für unfruchtbar gehalten zu werden. Nie war sie Feministin gewesen, weil sie nicht wollte, dass man sie sonderbar fand und als Männerhasserin bezeichnete. Und sie erhob niemals die Stimme, damit sie nicht »Xanthippe« genannt wurde.
Trotzdem hatte dieser Fremde sie in die Gosse gezerrt, mit all den Schimpfnamen, die ein Mann einer Frau gab, wenn er sich ärgerte. Warum mussten immer auch sexuelle, obszöne Namen dazugehören? Wenn ein Mann einen anderen demütigen wollte – nannte er ihn dann »Schwanz«? Was haben wir Frauen verbrochen, um dermaßen beleidigt zu werden, überlegte Evelyn. Die Schwarzen wurden nicht mehr so übel beschimpft, zumindest sagte man ihnen so was nicht ins Gesicht. Die Italiener waren keine »Dragos« mehr, in höflichen Gesprächen gab es weder »Judenschweine« noch »Japs« oder »Schlitzaugen«. Alle Minderheiten und Völker hatten ihre kämpferischen Gruppen, die sich für sie einsetzten und protestierten. Nur die Frauen wurden von den Männern immer noch unflätig beschimpft. Warum? Wo ist unsere Gruppe, fragte sich Evelyn. Das ist unfair … Mit jeder Minute wuchs ihre Empörung. Ich wünschte, Idgie wäre bei mir gewesen, dachte sie. Die hätte diesem Jungen nicht erlaubt, so zu reden. Ich wette, sie hätte ihn niedergeschlagen.
Plötzlich hörte sie auf, darüber nachzugrübeln, denn sie empfand ein völlig unbekanntes Gefühl, das sie erschreckte. Zwanzig Jahre später als die meisten anderen Frauen war Evelyn-Couch wütend – wütend auf sich selbst, weil sie sich so hatte einschüchtern lassen. Bald drückte sich dieser verspätete Zorn auf seltsame Weise aus.
Zum ersten Mal in ihrem Leben wünschte sie sich, sie wäre ein Mann. Nicht um des Privilegs willen, jene spezielle anatomische Ausrüstung zu besitzen, die den Männern so viel bedeutete. Nein. Sie sehnte sich nach der Kraft eines Mannes. Wäre sie damit gesegnet, hätte sie den Punk im Supermarkt zu Brei schlagen können. Andererseits, wäre sie ein Mann, hätte der Kerl sie niemals so gemein beschimpft. In ihrer Fantasie sah sie sich selbst, ausgestattet mit der Stärke von zehn Männern. Sie wurde Superwoman. Und in Gedanken bearbeitete sie diesen Jungen, diese Dreckschleuder immer wieder mir ihren Fäusten, bis er auf dem Parkplatz lag, blutend, mit zerbrochenen Knochen, und um Gnade flehte. Ha!
Und so begann Evelyn Couch aus Birmingham, Alabama, mit achtundvierzig Jahren ihr neues Geheimleben.
Kaum jemand, der diese rundliche Mittelklasse-Hausfrau in mittleren Jahren, die so nett aussah, beim Einkaufen oder sonstigen alltäglichen Tätigkeiten beobachtete, konnte ahnen, dass sie in ihrer Fantasie mit Maschinenpistolen auf die Genitalien von Vergewaltigern feuerte und niederträchtige Ehemänner mit speziell entworfenen Ehefrauenstiefeln zertrat.
Evelyn hatte sich einen geheimen Code-Namen gegeben – einen Namen, der auf der ganzen Welt gefürchtet wurde: Towanda die Rächerin!
Und während Evelyn lächelnd ihre Pflichten erfüllte, attackierte Towanda Kinderschänder mit elektrisch geladenen Stachelstöcken, bis ihnen die Haare zu Berge standen. In Playboy- und Penthouse- Heften versteckte sie winzige Bomben, die explodierten, sobald man die Zeitschriften aufschlug. Drogenhändlern verabreichte sie Überdosen und ließ sie auf der Straße sterben. Den Arzt, der ihrer Mutter die Krebserkrankung verraten hatte, zwang sie, nackt durch die Straße zu rennen, wobei seine gesamte Kollegenschaft, Dentisten eingeschlossen, jubelnd zuschaute und ihn mit Steinen bewarf. Als barmherzige Rächerin wartete sie, bis er seinen Spießrutenlauf beendet hatte, und zerquetschte sein Gehirn erst danach mit einem Vorschlaghammer.
Towanda konnte alles tun, was sie wollte. Sie reiste in die Vergangenheit zurück und verprügelte den Apostel Paulus, weil er geschrieben hatte, die Frauen müssten still sein. In Rom stürzte sie den Papst vom Thron und setzte eine Nonne darauf, während die Priester zur Abwechslung kochen und saubermachen mussten.
Towanda trat in Talkshows auf. Mit kühlem Blick, ruhiger Stimme, ironischem Lächeln gewann sie alle Wortgefechte mit Leuten, die ihr widersprachen. Ihre Brillanz demoralisierte ihre Gegner dermaßen, dass sie in Tränen ausbrachen und aus dem Studio flohen. Sie flog
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