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Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Titel: Grüne Tomaten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fannie Flagg
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nicht abgenommen und trug auch noch den Kittel. »Tut mir leid, aber ich kann nichts für sie tun«, sagte er. Der Krebs hatte sich schon bis zur Bauchspeicheldrüse ausgebreitet, und wenn die erst mal befallen wird, ist man verloren. Er erklärte, er habe Ruth gleich wieder zugenäht und nun würde sie am Tropf hängen.
    Wir brachten sie ins Threadgoode-Haus, in eins der Schlafzimmer im Oberstock, damit sie’s möglichst bequem hatte. Onzell quartierte sich bei ihr ein und wich nicht mehr von ihrer Seite. Als Idgie ankündigte, sie würde eine Pflegerin engagieren, wollte Onzell nichts davon hören. Die Kinder waren mittlerweile erwachsen, und Big George musste eben für sich selber kochen.
    Die arme Idgie und Stump – die brachen fast zusammen. Wie betäubt saßen sie im Erdgeschoss. Es ging so schnell mit Ruth zu Ende, und sie hatte grässliche Schmerzen. Sie bemühte sich, es nicht zu zeigen, aber man sah’s ihr an. Onzell gab ihr regelmäßig die Medikamente und betreute sie vierundzwanzig Stunden am Tag. In der letzten Woche ließ sie niemanden mehr zu ihr, außer Idgie und Stump. Sie sagte, Ruth habe sie gebeten, alle anderen fernzuhalten, weil sie so furchtbar aussehe. Nie werde ich vergessen, wie Onzell vor der Tür stand und betonte, Miss Ruth sei eine Lady und wisse stets, wann man eine Party verlassen müsse, und bei dieser Regel wolle sie auch jetzt bleiben.
    Big George, Idgie und Stump suchten im Wald duftende Tannenzapfen fürs Krankenzimmer, während Ruth starb. Als sie heimkamen, war die Leiche schon weggebracht worden. Onzell hatte Dr. Hadley angerufen, und der schickte eine Ambulanz, die Ruth zum Bestattungsinstitut nach Birmingham fuhr. Cleo und ich warteten mit Onzell auf den Wagen, der bald eintraf. Die Tote wurde hineingehoben, und der Doktor schlug vor: »Gehen Sie nach Hause, Onzell. Ich begleite Ruth und kümmere mich um alles.«
    Da straffte Onzell die Schultern und erwiderte: »Nein, Sir, das ist meine Aufgabe.« Sie marschierte an ihm vorbei, stieg hinten in die Ambulanz und schloss die Tür. Ruths Kleid und die Schminksachen trug sie bei sich, und in jener Nacht verließ sie das Bestattungsinstitut erst, als sie glaubte, Ruth würde so aussehen, wie sie’s selber gewünscht hätte.
    Deshalb kann mir niemand einreden, die Schwarzen würden die Weißen hassen. Oh nein! Ich habe zu viele herzensgute Farbige gekannt, um so was zu glauben.
    Neulich sagte ich zu Cleo, ich würde gern mit dem Zug nach Memphis und zurück fahren und sehen, was Jasper macht. Er arbeitet im Speisewagen.«
    Evelyn musterte ihre Freundin und merkte, dass Mrs. Threadgoode die Zeiten durcheinanderbrachte.

W HISTLE S TOP , A LABAMA
    7. Februar 1947
    Onzell bat Stump und Idgie an jenem regnerischen Morgen, in den Wald am Fluss zu gehen und Tannenzapfen für Miss Ruths Krankenzimmer zu sammeln. Mit einem feuchten Lappen wischte sie das Gesicht ihres Schützlings ab. »Halten Sie durch, Miz Ruth, bald ist es vorbei, Baby.«
    Ruth schaute zu ihr auf und versuchte zu lächeln, aber das Leid in ihren Augen war grauenvoll. Es gab kein Entrinnen mehr, keinen Schlaf, keine Erleichterung. Onzell, Mitglied der Mount-Zion-Primitive-Baptistenkirche und Solosängerin im Hallelujah-Chor, glaubte felsenfest an einen barmherzigen Gott, und sie hatte einen Entschluss gefasst. Kein Gott auf dieser Welt, und ganz gewiss nicht ihr süßer Jesus, der für die Sünden der Menschen gestorben war und den sie innig liebte, hatte jemals gewollt, dass eines seiner Schäfchen dermaßen litt.
    Und so gab sie Ruth freudigen und reinen Herzens das Morphium, das sie – Dosis um Dosis, Tag für Tag – gesammelt hatte, und beobachtete, wie sich der Körper ihres Lieblings zum ersten Mal seit Wochen entspannte. Sie setzte sich neben das Bett, hielt die kleine, bis auf die Knochen abgemagerte Hand, wiegte sich hin und her und begann zu singen.
    »Im süßen Jenseits liegt ein schöner Hort.
Mit den Augen unseres Glaubens sehen wir ihn.
Und der Vater erwartet uns dort.
Er wird uns in eine Wohnung führen,
An einer schönen Küste,
Drüben im süßen Jenseits …«
    Onzell sang mit geschlossenen Augen, aber sie spürte, wie sich das Zimmer mit Sonnenlicht füllte, das zwischen den Wolken hervordrang. Und die Wärme ringsum entlockte ihr Freudentränen. Als sie ein Tuch über den Spiegel hängte und die Uhr auf dem Nachttisch zum Stillstand brachte, dankte sie ihrem süßen Jesus, der Miss Ruth nach Hause geholt hatte.

T HE W EEMS W EEKLY
    (W HISTLE

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