Grüne Tomaten: Roman (German Edition)
aussteigen. Idgie versuchte ihn erst einmal für Whistle Stop zu begeistern. »Deine Momma und dein Daddy und Sipsey warten auf dich.«
Aber er flehte sie an, nur ein paar Stunden in Birmingham bleiben zu dürfen, und so fuhren sie ihn in die 8th Avenue, wo er sich absetzen ließ.
»Bitte, komm bald nach Hause«, mahnte Idgie, »denn sie haben wirklich Sehnsucht nach dir. Versprichst du’s?«
»Klar, Ma’am«, erwiderte er, rannte die Straße hinab und lachte glücklich. Endlich war er wieder da, wo er hingehörte.
Etwa eine Woche später erschien er im Café, das Haar glatt wie Glas, und sah spektakulär aus mit einem brandneuen breitrandigen Revel-Hut, in Harlem entworfen – einem Geschenk von Madeline, die sich freute, ihn wieder daheim zu haben.
P FLEGEHEIM R OSE T ERRACE
O LD M ONTGOMERY H IGHWAY , B IRMINGHAM , A LABAMA
7. September 1986
Diese Woche delektierten sich Evelyn und Ninny an Cornflakes, Cola und hausgemachten Keksen.
»Schätzchen, heute Morgen hätten Sie da sein müssen. Sie haben eine tolle Show verpasst. Wir frühstückten, und als wir aufblickten, tanzte Vesta Adcock mitten im Speisesaal mit einem Hula-Reifen, ein Kleiebrötchen auf dem Kopf. Welch ein Anblick! Der arme alte Mr. Dunaway regte sich so auf, dass sie ihm Beruhigungspillen geben und ihn in sein Zimmer bringen mussten. Geneene, die kleine farbige Pflegerin, zwang Vesta, sich hinzusetzen und ihr Brötchen zu essen. So was müssen wir jeden Tag runterwürgen, damit wir keine Verstopfung kriegen. Wenn man in die Jahre kommt, funktioniert das Verdauungssystem nicht mehr so gut.«
Mrs. Threadgoode beugte sich vor und wisperte: »Manche alten Leute hier furzen und merken’s gar nicht.« Sie nahm einen Schluck Cola. »Wissen Sie, viele mögen die farbigen Pflegerinnen nicht. Eine Insassin sagte mal, alle Schwarzen würden die Weißen im Grund ihres Herzens hassen, und wenn so eine Pflegerin eine Gelegenheit dazu bekäme, würde sie uns im Schlaf ermorden.«
Evelyn meinte, so was Dummes habe sie noch nie gehört.
»Das dachte ich auch, aber es war Ihre Schwiegermutter, die das sagte. Deshalb hielt ich den Mund.«
»Nun, das überrascht mich nicht.«
»Sie ist nicht die Einzige. Oh, Sie würden staunen, wenn Sie wüssten, wie viele so denken. Aber ich glaub’s keine Minute lang. Mein ganzes Leben war ich von Farbigen umgeben. An dem Nachmittag, wo Momma Threadgoode im Salon aufgebahrt wurde, schauten wir aus dem Fenster, und da hatten sich alle schwarzen Frauen aus Troutville im Garten versammelt und sangen eins von ihren schönen alten Spirituals – ›When I Get to Heaven, I’m Gonna Sit Down and Rest Awhile.‹ Oh, das werde ich nie vergessen. So einen Gesang haben Sie noch nie gehört. Ich muss nur dran denken, und schon bekomme ich eine Gänsehaut.
Und zum Beispiel Idgie. Die hatte in Troutville genauso viele Freunde wie in Whistle Stop. Und wenn jemand da drüben starb, hielt sie oft die Grabrede. Einmal sagte sie mir, sie würde die Schwarzen so manchen Weißen vorziehen. Und wie ich mich entsinne, erklärte sie: ›Ninny, ein nichtsnutziger Nigger ist einfach nur nichtsnutzig. Aber ein mieser Weißer ist schlimmer als ein bösartiger Hund.‹
Natürlich kann ich nicht für alle sprechen, aber ich kannte niemanden, der einem anderen Menschen so treu ergeben gewesen wäre wie Onzell unserer Ruth. Ruth war ihr Liebling, daraus machte Onzell kein Geheimnis. Und sie erlaubte niemandem, Ruth irgendwas anzutun.
Als Idgie sich mal schrecklich aufgeführt und zu viel getrunken hatte und die ganze Nacht nicht nach Hause gekommen war, sagte Onzell ihr am nächsten Tag in der Küche: ›Hören Sie mal, Miz Idgie, wenn Miz Ruth von hier weg will, bin ich die erste, die ihr beim Packen hilft.‹ Wortlos lief Idgie aus der Küche. Sie wusste, dass man sich besser nicht mit Onzell anlegte, wenn’s um Ruth ging.
Aber so lieb Onzell war, sie konnte auch andere Saiten aufziehen. Und das musste sie auch, wo sie doch all die Kinder aufzog und den ganzen Tag im Café arbeitete. Wenn Artis und Naughty Bird ihr auf die Nerven fielen, scheuchte sie die beiden mit kräftigen Klapsen aufs Hinterteil aus der Küche, und mit der anderen Hand schnitt sie Biskuits auf.
Aber sie war sanft wie ein Lamm, was Ruth betraf. Als Ruth an Gebärmutterkrebs erkrankte und operiert werden musste, begleiteten Idgie, Onzell und ich sie nach Birmingham. Wir saßen alle drei im Wartezimmer, und dann kam der Doktor herein. Er hatte seine Kappe noch gar
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