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Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Titel: Grüne Tomaten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fannie Flagg
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getan, wenn sie allein in der City gewesen war, obwohl sie wusste, dass Angehörige ihrer Rasse den Frachtaufzug benutzen mussten. Ihre Mutter und Daddy würden sie umbringen, wenn sie das herausfänden. Sie wurde zwar aufgefordert, nur mit hellhäutigen Leuten zu verkehren, aber es war eine unverzeihliche Sünde, sich als Weiße auszugeben. Nun, sie hatte es satt, im Frachtlift von Schwarzen angestarrt zu werden. Außerdem war sie an diesem Tag in Eile.
    Die schöne Frau im königsblauen Wollkleid, die hinter der Theke stand, bediente Clarissa überaus höflich und zuvorkommend. »Haben Sie White Shoulders schon einmal ausprobiert?«
    »Nein, Ma’am, ich glaube nicht.«
    Die Verkäuferin holte das Probefläschchen unter der Theke hervor. »Versuchen Sie’s. Shalimar ist zwar sehr beliebt, aber ich glaube, es wäre etwas zu schwer für Sie – bei Ihrem hellen Teint.«
    Clarissa schnupperte an ihrem Handgelenk. »Oh, das ist wundervoll! Wie viel kostet eine Flasche?«
    »Das ist ein Sonderangebot. Zweihundert Milliliter für zwei Dollar achtundneunzig. Damit kommen Sie mindestens sechs Monate aus.«
    »Gut, ich nehme eine Flasche.«
    »Ich finde, dieses Parfum passt perfekt zu Ihnen«, erklärte die Verkäuferin hochzufrieden. »Zahlen Sie bar oder auf Kundenkredit?«
    »In bar.«
    Die Frau nahm das Geld entgegen und packte den Karton mit der Flasche ein.
    Ein Schwarzer im Mantel, mit kariertem Hut, hatte Clarissa angestarrt. Er erinnerte sich an ein Foto in einer Zeitung und kam zu ihr. »Entschuldige – bist du nicht Jaspers Baby?«
    Entsetzt tat Clarissa so, als hätte sie ihn nicht gehört.
    »Ich bin dein Onkel Artis, der Bruder deines Daddys.« Er hatte einige Drinks konsumiert und wusste nicht, dass sie an diesem Tag zur weißen Gesellschaft zählte. Und so griff er nach ihrer Hand. »Ich bin’s, Onkel Artis, Schätzchen. Kennst du mich nicht?«
    Die Parfumverkäuferin kam hinter der Theke hervor und kreischte: » Lassen Sie die Lady sofort los!« Sie rannte zu Clarissa und legte einen Arm um ihre Schultern. » Verschwinden Sie! Harry! Harry!«
    Der Abteilungsleiter kam angelaufen. »Was gibt’s denn?«
    Clarissas Beschützerin schrie so laut, dass es die ganze Etage vernahm: » Dieser Nigger hat meine Kundin angefasst! Er hat sie betatscht!Ich hab’s gesehen!«
    »Wache!«, brüllte Harry, dann wandte er sich zu Artis. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Haben Sie diese weiße Frau angerührt, Junge?«
    Artis war schockiert. »Nein, Sir, das ist meine Nichte.« Er versuchte eine Erklärung abzugeben, aber der Wachtposten hatte ihn bereits wie einen Kreisel herumgewirbelt, drehte ihm einen Arm auf den Rücken und schob ihn zur Hintertür hinaus.
    Die Frau tröstete Clarissa. »Jetzt ist alles wieder in Ordnung, meine Liebe. Dieser Nigger ist entweder betrunken oder verrückt.«
    Andere Verkäuferinnen hatten sich mitfühlend versammelt. »Nur ein Betrunkener … Da sieht man, was dabei herauskommt, wenn man zu diesen Leuten nett ist!«
    Artis wurde durch den Hinterausgang hinausgeworfen, landete auf dem Asphalt, schürfte sich Hände und Knie auf. Er stieg in die Straßenbahn zur Südseite und ging hinter das Holzschild mit der Aufschrift: »Für Farbige.« Als er sich setzte, überlegte er, ob das Mädchen wirklich Clarissa gewesen war.
    Jahre später – Clarissa war bereits verheiratet und hatte Kinder – besuchte sie Brittling’s Cafeteria, wo er Tabletts umhertrug. Sie gab ihm einen Vierteldollar Trinkgeld. Aber sie erkannte ihn nicht, und er erkannte sie nicht.

T HE W EEMS W EEKLY
    (W HISTLE S TOP , A LABAMA , W OCHENBLATT )
    10. August 1954
    E IN M ISSGESCHICK NACH DEM ANDEREN
    Ich scheine alt oder verrückt zu werden … Meine andere Hälfte Wilbur kam drei Tage hintereinander nach Hause und klagte über Kopfschmerzen. Gibt es was Schlimmeres als einen Mann, dem ein bisschen was weh tut? Ich glaube, deshalb müssen wir die Babys kriegen …
    Mir selbst fiel es immer schwerer, die Zeitung zu lesen. Also fuhr ich gestern Morgen nach Birmingham und ließ meine Augen untersuchen. Dabei stellte sich heraus, dass ich Wilburs Brille trug und er meine. Das nächste Mal kaufen wir Brillengestelle in verschiedenen Farben.
    Ansonsten fühle ich mich nicht allzu schlecht. Wie ich hörte, brannte es neulich in Opals Friseursalon, und Biddie Louise Otis, die gerade unter der Dauerwellenhaube saß, schrie Zeter und Mordio, weil sie glaubte, ihr Kopf stünde in Flammen. Aber es brannten nur

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