Grünes Gift
daß er abhaut.«
Es war kein leichtes Spiel für Jesse, im Halbdunkel durch die Gänge zu rennen. Seine Schuhsohlen waren immer noch von Olivenöl getränkt, so daß er dauernd ausrutschte. Hinzu kamen die überall herumliegenden Dosen, Flaschen, Tüten und Packungen.
Der Junge schien die Hindernisse problemlos zu überwinden und erreichte den vorderen Ladenbereich lange vor Jesse. Er stellte sich vor eines der zerbrochenen Fenster, hob seine speckige, kleine Hand und spreizte die Finger. Im selben Augenblick schwebte eine schwarze Scheibe hinaus in die Nacht. Von seiner Schlitterpartie völlig außer Atem kam Jesse schließlich bei dem Jungen an. Er humpelte leicht, denn er hatte sich die Hüfte angeschlagen, als er ausgerutscht und auf eine Dose Tomatensuppe gefallen war.
»Okay, mein Junge«, sagte er und japste nach Luft, während er das Kind zu sich umdrehte. »Jetzt erzähl mir mal, warum du dich hier drinnen versteckt hast?«
Der Junge sah Jesse an. Er grinste immer noch so breit wie zuvor, aber er sagte kein Wort.
»Na, nun komm schon«, redete Jesse auf ihn ein. »Ich verlange doch wirklich nicht viel von dir.«
Cassy gesellte sich zu den beiden und sah Jesse über die Schulter.
»Was hat er gemacht?« fragte sie.
»Gar nichts, so weit ich weiß«, erwiderte Jesse. »Er ist einfach hierher gelaufen und stehengeblieben. Wenn er bloß nicht so dämlich grinsen würde! Ich habe das Gefühl, er macht sich über uns lustig.«
Plötzlich sahen sie Scheinwerferlicht. Ein Auto war auf den Parkplatz gebogen und kam direkt auf sie zu.
»O nein!« rief Jesse. »Wir bekommen Gesellschaft.«
Instinktiv wichen Cassy und Jesse ein paar Schritte zurück. Mit quietschenden Reifen kam der Wagen vor dem Fenster zum Stehen. Die Scheinwerfer waren so grell, daß Cassy und Jesse geblendet wurden. Sie hielten sich zum Schutz die Hände vor die Augen. Das Kind rannte auf das Auto zu und verschwand im Licht.
»Holen Sie Nancy, und verschwinden Sie durch den Hinterausgang!« zischte Jesse Cassy zu.
»Und was ist mit Ihnen?« fragte Cassy.
»Ich leiste den Leuten hier währenddessen Gesellschaft«, erwiderte Jesse. »Wenn ich in einer Viertelstunde nicht am Treffpunkt bin, fahren Sie ohne mich zurück. Ich suche mir dann einen anderen Wagen und komme nach.«
»Sind Sie sicher?« fragte Cassy. Es gefiel ihr ganz und gar nicht, Jesse zurückzulassen.
»Natürlich bin ich sicher«, fuhr Jesse sie an. »Jetzt hauen Sie endlich ab!«
Cassy sah undeutlich ein paar Gestalten, die rechts und links aus dem Auto stiegen. Doch Genaueres konnte sie nicht erkennen. Sie wandte sich ab und rannte nach hinten. Auf halbem Weg blickte sie sich noch einmal kurz um und sah, wie Jesse durch das zerbrochene Fenster kletterte und direkt auf das grelle Licht zusteuerte.
Sie rannte so schnell sie konnte und warf sich gegen das Gitter, das den Supermarkt von der Apotheke trennte. Dann rüttelte sie mit beiden Händen daran und rief nach Nancy. Nancys Kopf tauchte hinter dem Apothekentresen auf. Sie registrierte sofort die Scheinwerfer vor dem Laden.
»Was ist passiert?« fragte sie.
»Ärger«, brachte Cassy japsend hervor. »Wir müssen verschwinden.«
»Okay«, entgegnete Nancy. »Ich habe sowieso alles.« Sie kam hinter dem Tresen hervor und versuchte sich durch das Loch im Gitter zu zwängen. Doch sie hatte Pech. Sie blieb hängen.
»Hier, nehmen Sie mal«, sagte sie und reichte Cassy eine große Plastiktüte. Dann versuchte sie sich mit beiden Händen zu befreien, was gar nicht so einfach war.
Mit einem Mal wurde das Licht im vorderen Ladenbereich extrem hell. Gleichzeitig begann es zunächst leise und dann immer lauter zu zischen. Als der Lärm ohrenbetäubend geworden war, brach er mit einem Schlag ab. Der Erschütterungseffekt fegte weitere Produkte von den Regalen.
»O nein!« stöhnte Nancy.
»Was ist?« fragte Cassy.
»Als sie Eugene vernichtet haben, haben wir das gleiche Zischen gehört«, erwiderte Nancy. »Wo ist Jesse?«
»Kommen Sie!« schrie Cassy. »Wir müssen hier raus!« Sie stellte die Plastiktüte ab, die Nancy ihr gegeben hatte, und versuchte, die Drahtenden auseinanderzubiegen. Der Schein von Taschenlampen flackerte durch den Laden.
»Laufen Sie!« rief Nancy verzweifelt. »Nehmen Sie die Tasche und hauen Sie ab!«
»Aber nicht ohne Sie«, entgegnete Cassy, während sie mit dem widerspenstigen Draht kämpfte.
»Okay«, sagte Nancy. »Halten Sie diese Seite, ich drücke gegen die andere.« Gemeinsam
Weitere Kostenlose Bücher