Grünes Gift
Behandlung?«
»Dreiundfünfzig«, erwiderte Pitt und hielt ein Blatt Papier hoch, auf dem er die aktuellen Zahlen festgehalten hatte. »Ach du meine Güte!« Sheila starrte mit leerem Blick auf den Empfang und kaute auf ihrer Wange herum, während sie darüber nachdachte, was sie unternehmen konnte. Dann sah sie wieder Pitt an. »Kommen Sie, und nehmen Sie auch dieses Blatt mit ihren Aufzeichnungen mit!«
Sheila legte ein derartiges Tempo vor, daß Pitt Mühe hatte, mit ihr Schritt zu halten. »Wo gehen wir denn hin?« fragte er schließlich.
»Zum Leiter des Krankenhauses«, erwiderte Sheila ohne weiteren Kommentar.
Im Fahrstuhl versuchte Pitt in ihrem Gesicht zu lesen. Er hatte keine Ahnung, warum sie ihn zum Chef schleppte, doch er befürchtete, daß er aus irgendeinem Grund gemaßregelt werden sollte.
»Ich möchte sofort mit Dr. Halprin sprechen«, sagte Sheila zu Mrs. Kapland, der Chefsekretärin.
»Dr. Halprin ist gerade in einer Besprechung«, erwiderte Mrs. Kapland mit einem freundlichen Lächeln. »Aber ich sage ihm Bescheid, daß Sie hier sind. Darf ich Ihnen einen Kaffee oder ein Wasser anbieten?«
»Sagen Sie ihm, es ist äußerst dringend!« entgegnete Sheila. Nachdem sie zwanzig Minuten gewartet hatten, führte die Sekretärin sie in das Büro des Krankenhausleiters. Sheila und Pitt registrierten sofort, daß es dem Mann nicht gut ging. Er war blaß und hustete heftig.
Nachdem sie Platz genommen hatten, faßte Sheila ohne große Vorrede kurz und bündig zusammen, was Pitt ihr gerade erzählt hatte. Dann schlug sie dem Krankenhausleiter vor, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
»Jetzt machen Sie aber mal einen Punkt!« entgegnete Dr. Halprin zwischen zwei Hustenanfällen. »Fünfzig Grippefälle mitten in der Grippezeit sind kein Grund, die ganze Stadt in Panik zu versetzen. Mich hat der Bazillus auch erwischt, aber so dramatisch ist das ja nun auch wieder nicht. Wenn ich gekonnt hätte, wäre ich allerdings lieber im Bett geblieben.«
»Allein in unserem Krankenhaus sind es über fünfzig Fälle«, sagte Sheila.
»Ja«, entgegnete Dr. Halprin. »Aber wir sind auch das größte Krankenhaus in der Stadt. Wir haben immer die meisten Fälle, egal was gerade in der Luft liegt.«
»Mir sind zwei Patienten unter den Händen weggestorben«, wandte Sheila ein. »Obwohl sie ihre Diabetes bestens unter Kontrolle hatten. Möglicherweise sind sie an dieser Grippe gestorben.«
»Das kann bei einer Influenza schon mal vorkommen. Wir wissen doch alle, daß das Grippevirus bei älteren und gebrechlichen Menschen Schlimmes anrichten kann.«
»Mr. Henderson kennt zwei Menschen, die die Krankheit hatten und bei denen als Nachwirkung Persönlichkeitsveränderungen aufgetreten sind. Einer von den beiden ist sein bester Freund.«
»Ausgeprägte Persönlichkeitsveränderungen?« fragte Halprin.
»Vielleicht nicht ausgeprägte«, erwiderte Pitt, »aber doch deutlich erkennbare.«
»Nennen Sie mir ein Beispiel«, forderte Dr. Halprin ihn auf, während er sich laut die Nase putzte.
Pitt erzählte ihm, daß Beau plötzlich völlig unbekümmert in den Tag hineinlebte und daß er an einem Tag sämtliche Vorlesungen geschwänzt hatte, um verschiedenen Museen und den Zoo zu besuchen.
Dr. Halprin beendete sein Naseschneuzen und musterte Pitt. Dann sagte er mit einem Grinsen: »Entschuldigen Sie bitte, aber in meinen Ohren klingt das nicht gerade dramatisch.«
»Wenn Sie Beau kennen würden, würden Sie verstehen, wie ungewöhnlich ein solches Verhalten für ihn ist«, entgegnete Pitt.
»In meinem Büro haben wir auch unsere Erfahrungen mit der Krankheit gemacht«, berichtete Dr. Halprin. »Mich hat’s heute erwischt, und meine beide Sekretärinnen waren gestern schwach auf den Beinen.« Er beugte sich vor, drückte auf den Knopf der Sprechanlage und bat die beiden Frauen, in sein Büro zu kommen.«
Mrs. Kapland erschien sofort, kurz darauf folgte ihr eine jüngere Frau namens Nancy Casado.
»Dr. Miller macht sich Sorgen wegen dieses Bazillus, der im Augenblick die Runde macht«, wandte sich Dr. Halprin an seine Sekretärinnen. »Vielleicht könnten Sie sie beruhigen.« Die beiden Frauen sahen sich ein wenig ratlos an, da sie nicht wußten, wer den Anfang machen sollte. Mrs. Kapland, die dienstältere Sekretärin, sprach schließlich als erste.
»Es begann ganz plötzlich«, erklärte sie. »Ich habe mich total elend gefühlt. Aber nach vier oder fünf Stunden war ich über den Berg. Jetzt geht es mir schon
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