Grünes Gift
Notaufnahme, einschließlich Dr. Miller, herbeigeeilt. Sie hatten den Mann nach seiner Ankunft sofort in einen Behandlungsraum gebracht und sich zuerst darum gekümmert, seine Atemwege frei zu bekommen. Dann hatten sie ihm Blut abgenommen, in an verschiedene Monitore angeschlossen und ihm Glukose injiziert.
Da sich sein Zustand nicht besserte, waren jedoch weitere Medikamente erforderlich. Deshalb entschied Sheila, ihm Valium zu verabreichen.
»Valium injiziert«, meldete Ron Severide. Ron war ein Krankenpfleger der Abendschicht.
Sheila beobachtete den Monitor und dachte an die Frau vom Vortag. Sie wollte auf keinen Fall riskieren, daß auch dieser Patient einen Herzstillstand erlitt.
»Wie heißt der Patient?« fragte Sheila. Der Mann wurde seit zehn Minuten in der Notaufnahme versorgt.
»Louis Devereau«, erwiderte Ron.
»Wissen wir irgend etwas über seine Krankengeschichte - abgesehen von der Diabetes?« wollte Sheila wissen. »Ist er herzkrank?«
»Es ist nichts dergleichen bekannt«, erwiderte Dr. Draper. »Gut«, stellte Sheila fest und begann allmählich, sich zu beruhigen. Auch der Patient schien ruhiger zu werden. Nach ein paar weiteren Zuckungen hörten die Krämpfe auf. »Sieht gut aus«, bemerkte Ron.
Doch kaum hatte er seine positive Einschätzung der Lage über die Lippen gebracht, als der Mann erneut von einem heftigen Anfall geschüttelt wurde.
»Das gibt’s doch nicht«, rief Dr. Draper. »Wie kann er weiter Krämpfe haben, wenn wir ihm Valium und Glukose gegeben haben? Was ist nur mit ihm?«
Sheila antwortete nicht. Sie starrte auf den Herzmonitor, denn es waren ein paar Extrasystolen aufgetreten. Als sie gerade Lidocain ordern wollte, blieb das Herz des Patienten stehen. »O nein!« entfuhr es Sheila.
Es war geradezu unheimlich, wie sehr der Krankheitsverlauf dem der Frau vom Vortag ähnelte. Das Herz von Louis Devereau begann zu flimmern, und egal, was das Rettungsteam unternahm - der Herzmonitor zeichnete nur noch eine gerade Linie auf. Niedergeschlagen mußten sie sich wieder einmal eingestehen, daß sie es nicht geschafft hatten, den Patienten zu retten. Er wurde für tot erklärt.
Wütend über ihr Versagen riß Sheila sich die Handschuhe herunter und warf sie in den Abfalleimer. Dr. Draper tat das gleiche. Dann gingen sie gemeinsam in Richtung Empfang. »Bitte rufen Sie sofort im gerichtsmedizinischen Institut an - und machen Sie dem Pathologen klar, wie wichtig es ist, die genaue Todesursache herauszufinden. Das kann unmöglich so weitergehen! Die Patienten waren beide noch relativ jung.«
»Aber sie waren beide insulinabhängig«, gab Dr. Draper zu bedenken. »Und sie waren beide Langzeitdiabetiker.« Sie erreichten den weitläufigen Empfangsbereich, in dem es ziemlich hektisch zuging.
»Aber wieso sollte Diabetes in mittleren Jahren zum Tod führen?« wandte Sheila ein. »Gute Frage«, entgegnete Dr. Draper.
Sheila warf einen Blick in den Warteraum und runzelte die Stirn. Es gab nur noch Stehplätze, so viele Menschen warteten darauf, behandelt zu werden. Vor zehn Minuten noch hatten in dem Raum nicht mehr Leute gesessen als sonst um diese Uhrzeit. Als sie sich umdrehte, um sich bei einem der Mitarbeiter am Empfang zu erkundigen, ob es für den plötzlichen Massenandrang eine Erklärung gab, sah sie in das Gesicht von Pitt Henderson.
»Gehen Sie denn nie nach Hause?« fragte sie. »Cheryl Watkins hat mir erzählt, daß Sie schon ein paar Stunden nach Ihrer letzten Vierundzwanzigstundenschicht wieder zum Dienst gekommen sind.«
»Ich bin hier, um etwas zu lernen«, erwiderte Pitt. Da er Sheila hatte kommen sehen, hatte er sich die Antwort schon vorher zurechtgelegt.
»Ach du liebe Güte«, stöhnte Sheila. »Sehen Sie bloß zu, daß Sie nicht schon ausgebrannt sind, bevor Sie richtig loslegen. Sie haben doch noch nicht einmal mit ihrem eigentlichen Medizinstudium begonnen.«
»Ich habe gehört, daß der frisch eingelieferte Diabetiker gerade gestorben ist«, wechselte Pitt auf ein anderes Thema über. »Muß ja ganz schön hart für Sie sein, damit fertig zu werden.« Sheila nahm ihn genauer in Augenschein. Der Junge überraschte sie. Als er ihr gestern morgen in einem Raum, in dem er nichts zu suchen hatte, den Kaffee über den Ärmel geschüttet hatte, hatte sie sich ziemlich über ihn geärgert. Doch jetzt war er für einen jungen Mann im College-Alter ausgesprochen einfühlsam. Außerdem sah er mit seinen kohlrabenschwarzen Haaren und seinen dunklen, glänzenden
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