Grünes Gift
oben.
»Haben Sie diesen Bericht schon einer anderen Behörde vorgelegt?« fragte Dr. Marchand, der das Manuskript in die Hand genommen hatte und lustlos darin herumblätterte.
»Nein!« erwiderte Sheila mit Nachdruck. »Wir waren alle der Meinung, daß es das beste sei, sofort die Centers of Disease Control einzuschalten.«
»Sie haben ihn nicht an das State Department oder das Gesundheitsministerium weitergeleitet?«
»Nein«, bestätigte auch Nancy. »An niemanden.«
»Haben Sie schon versucht, die Aminosäuresequenz des Proteins zu bestimmen?« fragte Dr. Delbanco. »Nein, noch nicht«, erwiderte Nancy. »Aber das dürfte kein Problem sein.«
»Wissen Sie, ob sich das Virus auch nach der Genesung der Patienten isolieren läßt?« fragte Dr. Black. »Können Sie schon etwas darüber sagen, auf welche Weise das Protein mit der DNA reagiert?« wollte die gertenschlanke Dr. Sanchez wissen.
Nancy lächelte und hob die Hände. Sie freute sich über das plötzlich erwachte Interesse. »Nicht alle auf einmal, bitte. Ich kann nur eine Frage nach der anderen beantworten.« Die Nachfragen kamen Schlag auf Schlag, oft mit aggressivem Unterton. Nancy antwortete, so gut sie konnte, Eugene unterstützte sie, wann immer er etwas beizutragen hatte. Zunächst war Sheila genauso erfreut wie Nancy, doch als die Fragen nach zehn Minuten immer hypothetischer wurden, wurde ihr klar, daß etwas nicht stimmte.
Sheila holte tief Luft. Vielleicht war sie ja einfach zu müde. Vielleicht waren diese Fragen angemessen, wenn man bedachte, daß sie von vorwiegend an der Forschung interessierten Experten gestellt wurden. Das Problem war nur - sie erwartete Maßnahmen und keine zähen intellektuellen Betrachtungen. Im Augenblick fragten sie Nancy ein Loch in den Bauch, wie sie überhaupt auf die Idee gekommen sei, das Protein als DNA-Marker zu benutzen.
Sheila ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. An den Wänden hingen die üblichen Diplome, Zulassungen und akademischen Auszeichnungen. Darüber hinaus gab es Fotos, die Dr. Marchand in Begleitung des Präsidenten und anderer Politiker zeigten. Plötzlich verharrte ihr Blick an einer Tür, die etwa einen Fußbreit geöffnet war. In dem Spalt sah sie das Gesicht von Dr. Horn. Sie erkannte ihn sofort an seiner schimmernden Glatze.
Als ihre Blicke sich trafen, verzog Dr. Horn sein Gesicht zu einem breiten Grinsen. Sheila blinzelte einmal kurz. Als sie die Augen wieder öffnete, war Dr. Horn verschwunden. Sie schloß nochmals die Augen. Hatte sie vor lauter Erschöpfung schon Halluzinationen? Sie war sich nicht sicher. Doch eins bewirkte das Erscheinen von Dr. Horns Gesicht in der Tür. Sie erinnerte sich daran, daß er ihr Büro in Begleitung von Dr. Halprin verlassen hatte. Sie hatte seine Worte so klar im Ohr, als hätte sie sie erst vor einer Stunde gehört: »Ich habe sogar etwas, das ich Sie bitten möchte, für mich mit nach Atlanta zu nehmen. Etwas, das die Leute Ihrer Behörde ziemlich interessieren dürfte.«
Sheila öffnete die Augen. Sie wußte, was Dr. Halprin dem CDC-Epidemiologen mitgegeben hatte: eine schwarze Scheibe. Sheila musterte die im Raum versammelten Experten und schlagartig war ihr klar: Sie waren alle infiziert. Sie horchten Nancy und Eugene nicht etwa aus, weil sie ein Interesse daran hatten, die Epidemie unter Kontrolle zu bekommen - sie wollten lediglich herausfinden, wie die beiden so viel in Erfahrung gebracht hatten.
Sheila sprang auf, packte Nancy am Arm und zog sie hoch. »Kommen Sie, Nancy. Wir brauchen dringend ein wenig Ruhe.«
Ziemlich baff, so jäh unterbrochen zu werden, schüttelte Nancy Sheilas Hand ab. »Wieso jetzt - wo wir endlich Fortschritte machen?« zischte sie ihr zu.
»Kommen Sie, Eugene!« befahl Sheila. »Wir müssen unbedingt ein paar Stunden schlafen. Sie werden das doch verstehen - selbst wenn Nancy uneinsichtig ist.«
»Stimmt etwas nicht, Dr. Miller?« fragte Dr. Marchand. »Doch, es ist alles bestens«, erwiderte Sheila. »Mir ist nur gerade klar geworden, daß wir völlig erschöpft sind und erst dann Ihre kostbare Zeit in Anspruch nehmen sollten, wenn wir uns ein wenig ausgeruht haben. Wenn wir ein paar Stunden geschlafen haben, werden wir sicher logischer argumentieren können. Ich habe in der Nähe ein Sheraton Hotel gesehen. Ich glaube, es ist für alle das beste, wenn wir an dieser Stelle vorerst Schluß machen.«
Sheila griff nach dem Bericht, den sie und die Seilers mitgebracht hatten. Doch Dr. Marchand hielt ihn
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