Gruenkohl und Curry
Moment, dass meine Eltern mich für komplett verrückt erklären würden«, erinnert sich meine Mutter. »Nicht mal einen Monat ist sie in Deutschland, und schon gibt sie ihrem Sohn so einen Namen.«
Später erklärte sie ihrem Vater Manzoor Ali Naqvi, wie es zu »Niels« in der Geburtsurkunde gekommen war. Der beruhigte sie: »Wer weiß, am Ende ist es vielleicht gut für den Jungen. Er wird doch sicher im Westen aufwachsen.«
Heute bin ich hin- und hergerissen, wie ich die Tatsache finden soll, dass ich nicht nur Hasnain, sondern auch Niels heiße. Einerseits hat so der deutsche Anteil in mir einen – eigentlich skandinavischen – Namen, und allein schon die skurrile Art und Weise, wie ich zu diesem Namen gekommen bin, lässt ihn mich akzeptieren. Andererseits: Hasnain Niels Kazim, das ist wie Dieter Mohammed Müller – es passt einfach nicht zusammen. Und unter Niels stelle ich mir einen hellhäutigen, blonden Hünen vor, was nicht gerade meinem Ebenbild entspricht.
Müsste ich die indischen, pakistanischen und deutschen Anteile in mir abwägen – ich meine nicht die genetischen, sondern die gefühlten –, dann wäre ich allerdings ein kleines bisschen mehr Niels als Hasnain. Es gab Zeiten im Kindergarten und in der Grundschule, da hätte ich den Namen Hasnain am liebsten getilgt und meine braune Haut und die schwarzen Haare gleich dazu und alles durch Niels und nielskonformes Äußeres ersetzt. Ich war froh, dass mich meine Kindergartenfreunde »Hansi« nannten. Sie wussten nichts von meinem richtigen Namen.
Längst habe ich mich mit Hasnain versöhnt. Über viele Jahre stand Niels nicht in meinem Reisepass, in keinem meiner Zeugnisse taucht dieser Name auf, er war irgendwann unter den Tisch gefallen, bis vor wenigen Jahren eine Sachbearbeiterin im Einwohnermeldeamt bei der Ausstellung eines neuen Reisepasses meine Geburtsurkunde sehen wollte. Seither steht Niels wieder drin. Meinen vollen Namen schreibe ich nur in Formularen, der Vollständigkeit halber. Mit Niels habe ich noch nie unterschrieben.
Als Opi von meiner Geburt erfuhr, sagte er: »Endlich ein Junge in der Familie!« Zwei Enkelinnen, Tanja und Ronda, hatte er zu diesem Zeitpunkt schon, er freute sich, dass nun ein Enkel dazukam: Niels. Der Gedanke an Opis Freude lässt auch mich diesen Namen hinnehmen. Im Laufe der Jahre bekam ich mehrmals von ihm zu hören: »Bist ’n richtiger Oldenburger Jung.« Aber auch er nannte mich später immer »Hansi«, nicht Niels.
»’n richtiger Oldenburger Jung«
»Niedlich« war eines der Wörter, die meine Eltern häufig zu hören bekamen, als ich von Omis und Opis Verwandtschaft begutachtet wurde. Niedlich? Meine Eltern wunderten sich, sie verbanden »niedlich« mit dem englischen »neat«: sauber, rein – wieso sagten die Leute ständig, das Baby sei so sauber? Waren deutsche Babys etwa dreckiger?
Ich glaube, meine Mutter hat sich damals vieles zusammenreimen müssen, wahrscheinlich hat sie etliche Dinge noch nicht verstanden. Nur so erkläre ich mir ihre Auswahl in meinem Baby-Fotoalbum. Dort hat sie auf die Seite, auf die die Nachrichten des Geburtstags gehören, zwei Artikel aus einer Illustrierten eingeklebt: Der eine ist mit
»Rußland-Deutsche fühlen sich von Bonn im Stich gelassen«
überschrieben. Da geht es um die Sorge der sowjetischen Regierung darüber, dass zu viele Menschen das Land Richtung Deutschland verlassen wollen. Noch besser finde ich aber den zweiten Artikel:
»Wie in der DDR die Todesstrafe vollstreckt wird«
. Darin wird beschrieben, wie Strafgefangene
»in Lastwagen geführt und darin mit den Auspuffabgasen getötet«
werden. Ich bin mir sicher, dass sie damals nicht wusste, was genau sie da ins Album klebte.
Nun begannen, trotz der Fürsorge einer ganzen Familie, schwierige Zeiten für meine Mutter. Mein Vater war tagsüber unterwegs, Omi, Opi und deren Angehörige verstand sie kaum. Wie gerne hätte sie ihre Verwandten aus Pakistan bei sich gehabt! Erst jetzt, einen Monat nach ihrer Ankunft in Deutschland, spürte sie in ungnädiger Deutlichkeit, dass sie in einer anderen Welt, in der Fremde war: das andersartige Essen, die schwierigen deutschen Wörter, die vielen neuen Menschen, keine Schwester oder Freundin, mit der sie über alte Zeiten oder über den neuesten Kinofilm reden konnte. Und nun auch noch das schreiende Kind und keiner ihrer Verwandten in der Nähe, der sie in Sachen Kindererziehung unterstützen konnte.
»Die Sprachschwierigkeiten führten hin und
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