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Gruenkohl und Curry

Gruenkohl und Curry

Titel: Gruenkohl und Curry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hasnain Kazim
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schon mal an einem Glas Wein genippt, nun trank sie ihr erstes Glas Sekt. »Ich verstehe nicht, wie Leute vergammelten Traubensaft mögen können«, sagt sie noch heute.
    Es enttäuschte sie, dass kein Schnee fiel. Bislang kannte sie die weiße Pracht nur aus Bildern und Filmen. »Ich hatte gehört, dass in Deutschland im Winter immer Schnee liegt, aber im Winter 1974 / 1975 war nichts davon zu sehen.«
    Die größere Enttäuschung musste meine Mutter aber ein paar Tage vor Weihnachten verkraften: Mein Vater hatte in Bremen erfahren, dass im Frühjahr 1975 der nächste Lehrgang für das Kapitänspatent, das sogenannte Befähigungszeugnis für die Kleine Fahrt, in einem Ort mit dem Namen Grünendeich stattfinden sollte. In diesem Kurs hatte er einen Platz bekommen.
    Wo um Himmels willen lag Grünendeich? War das eine Stadt oder ein Dorf? Was gab es dort außer einer Seefahrtschule?
    Meine Eltern hatten so sehr auf Bremen gehofft. Nun verlangte das Schicksal, dass sie an einen Ort ziehen sollten, dessen Namen sie noch nie gehört hatten, ihn nicht einmal aussprechen konnten und in dem auch mein Vater niemanden kannte.
    Ein Blick in den Atlas linderte die Enttäuschung kein Stück: Der Ort war so klein, dass er darin nicht verzeichnet war. Erst eine Straßenkarte brachte Klarheit: Grünendeich war ein Dorf in einer Region, die Altes Land hieß, vierzig oder fünfzig Kilometer von Hamburg entfernt, mit vermutlich wenigen hundert Einwohnern. Der Ort gehörte zum Landkreis Stade und die nächsten Städte, die diese Bezeichnung verdienten, weil sie auf der Landkarte immerhin mit einem stecknadelkopfgroßen roten Fleck verzeichnet waren und nicht nur mit einem schwarzen Punkt, waren eben jenes Stade und ein Ort mit dem selbst für deutsche Verhältnisse merkwürdigen Namen Buxtehude.
    Meine Mutter kam aus Karatschi und träumte von London oder New York. Und was bekam sie? Grünendeich.
    Aber mein Vater wollte sein Patent unbedingt machen – schließlich hatte er einen ersten Anlauf in London abgebrochen und wollte nun beruflich weiterkommen. Um als Kapitän fahren zu dürfen, musste er diese eineinhalbjährige theoretische Ausbildung absolvieren. Und schließlich hatte er ja das deutsche Seefahrtsbuch, das ihm einen Aufenthalt in Deutschland und die Ausbildung an einer deutschen Seefahrtschule erlaubte. Diese Chance wollte er nicht ungenutzt verstreichen lassen – und sei sie verbunden mit einem Umzug nach Grünendeich. Dieser Ort hätte schon sehr schrecklich sein müssen, um ihn von seinen Plänen abzubringen.
    Kaum hatte er die Nachricht erhalten, beschloss er, sich das Dorf anzuschauen. Ernüchtert stellte er fest, dass es keine Bahnanbindung gab – das letzte Stück nach Grünendeich musste er mit dem Taxi zurücklegen.
    Eigentlich ganz hübsch, diese Gegend, dachte er. Lediglich ein Deich und eine Straße trennten die Seefahrtschule, einen modernen, weiß verputzten Bau, von der Elbe. Vom Deich aus konnte man sogar Hamburg auf der anderen Elbseite erahnen. Und die ganze Taxifahrt über hatte er Obstbäume an den Straßenrändern gesehen: kilometerweit Kirsch- und Apfelbäume. Hier könnten sie sich sicher wohlfühlen.
    Meine Eltern entschieden sich in Mannheim für Grünendeich. Ingrid schlug vor, zum Jahresanfang in der Lokalzeitung per Kleinanzeige eine Wohnung in der Nähe der Seefahrtschule zu suchen. Meine Eltern schalteten eine Annonce im ›Stader Tageblatt‹, das später mehrere Artikel über den Kampf meiner Familie um ein Leben in Deutschland veröffentlichen und bei dem ich Jahrzehnte später meine ersten journalistischen Erfahrungen machen sollte.
    Die Ausbeute war gering, schließlich wollten sie eine möblierte Wohnung, groß genug für eine Familie mit einem Kleinkind, aber nicht zu teuer – wir mussten in den kommenden Monaten mit Erspartem und mit der Unterstützung der Großeltern aus Pakistan auskommen.
    Mein Vater fand zwar einige Monate später heraus, dass es so etwas wie staatliche Ausbildungsunterstützung gab – die aber wurde ihm mit dem Hinweis verweigert, er sei Ausländer und daher stehe ihm solche Hilfe nicht zu. Dabei hatte er in Deutschland schon ein paar Jahre Steuern und Sozialabgaben gezahlt. Als er anmerkte, dass zwei Klassenkameraden von ihm aus dem Libanon sehr wohl Geld bekämen, wurde er barsch zurechtgewiesen: Zu Libanon habe Deutschland nun einmal ganz andere Beziehungen als zu Pakistan. Mein Vater gab nicht nach. Nach ewigem Streit mit den Behörden erhielt er das Geld,

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