Gruenkohl und Curry
nicht der Fall.« Salz und Pfeffer zählen für meine Eltern bis heute nicht zu den ernst zu nehmenden Gewürzen. Omi verwendete nicht einmal Knoblauch – Knoblauch war ihr geradezu verhasst. Nie gab es
Chapatis
,
Rotis
,
Puris
,
Naan
oder eines der anderen etwa fünfhundert Fladenbrotsorten, selten Reis, stattdessen Kartoffeln – ein Gemüse als Beilage! Man kann Fladenbrot oder Reis doch auch nicht durch Blumenkohl ersetzen!
Und dann der andere Rhythmus: nur ein warmes Essen am Tag, meistens mittags. Zu Hause in Karatschi gab es mindestens zweimal eine warme Mahlzeit, oft hatte der Koch sogar zum Frühstück ein Gemüsecurry und heißes Fladenbrot zubereitet.
»An Omis Geburtstag war ich erstaunt, als sich die Gäste alle an einen Tisch setzten«, erinnert sich meine Mutter. »Feiern in Pakistan sind meistens Stehpartys, wo es vielleicht ein paar Tische und Stühle gibt, aber keine feste Sitzordnung. Und das Essen wird immer als Buffet serviert.«
Mit der Zeit lernten meine Eltern weitere Gerichte kennen und schätzen. Mein Vater mag Bratwürste besonders gerne, während meine Mutter bis heute eine Abneigung gegen Würste aller Art hegt und sie nur isst, wenn es keine Alternative gibt – wie übrigens die meisten meiner Verwandten Würste nicht mögen, sogar hassen, sie wegen ihrer Form für etwas Obszönes und wegen ihrer Konsistenz für etwas Ekelerregendes halten. »Püriertes Fett im Darm, das ist doch pervers!«, lautet das Urteil eines Cousins. Einmal, als uns eine Cousine aus Karatschi besuchte, musste sie sich nach einem einzigen Biss in eine Bratwurst übergeben, während meine Schwester und ich mit Genuss gleich zwei Stück in uns hineinstopften. Unsere Hemmungslosigkeit bestürzte sie. Heute weiß ich: Die Bratwurst ist eine Trennlinie zwischen West und Ost.
Auf meine Eltern machte vor allem die Brot- und Brötchenvielfalt Eindruck. Und all die herrlichen Torten und Kuchen! Inzwischen backt meine Mutter längst selbst Altländer Apfelkuchen, würzen meine Eltern, wenn es Schweinebraten gibt, nur mit Salz und Pfeffer. Und ihre Gäste dürfen sich an den Tisch setzen.
Am 19. Oktober 1974 wurde ich in Oldenburg geboren. Am Tag zuvor war meiner Mutter schlecht geworden. Karin und Omi hatten sich in der Küche gestritten, ob das nun Wehen waren oder nicht. Karin setzte meine Mutter und meinen Vater in ihr Auto und fuhr mit ihnen ins Oldenburger Krankenhaus. Meine Mutter erinnert sich: »Eine Krankenschwester, Schwester Edith nannten sie alle, redete ununterbrochen, aber ich verstand kein Wort und sagte zu allem Ja. Keine Ahnung, was sie mir erzählte oder was sie von mir wollte.«
Karin fragte meine Eltern, wie das Kind denn heißen solle, und da es damals noch nicht üblich war, vor der Geburt das Geschlecht des Kindes zu kennen, nannte meine Mutter ihr zwei Namen: Ramona und Hasnain. Beides waren Mitte der siebziger Jahre populäre Namen in Pakistan, Hasnain allerdings nur bei den Schiiten – der Name entlarvt meine schiitischen Wurzeln noch heute unter denen, die sich mit dem Islam auskennen.
»Aber das Kind braucht einen deutschen Namen«, versuchte Karin meine Mutter zu überzeugen. »Ihr wollt doch in Deutschland leben!« Meine Mutter, mitten in der Wehenhölle, mochte ihr just in diesem Moment nicht ihre England- und US A-Pläne erläutern. Sollte Karin ruhig glauben, dass sie in Deutschland bleiben wollte. Aber sie dachte sich: Wozu ein deutscher Name?
Karin nannte ihr mehrere zu der Zeit in Deutschland beliebte Vornamen, die meine Mutter größtenteils furchtbar fand. Bei dem Vorschlag »Niels« äußerte sie, das klinge gut. Wahrscheinlich erinnerte es sie an »Neil«, nur mit einem S am Ende. Karin fasste das wohl als Zustimmung auf. Mein Vater bekam von diesem Gespräch kurz vor meiner Geburt nichts mit.
Der Arzt gratulierte meinen Eltern und verkniff sich nach einem Blick in die Unterlagen nicht die Bemerkung, der Sohn sei ja auf den Tag genau neun Monate nach der Hochzeit geboren worden. Pünktlichkeit war schon immer meine Stärke.
Als er meinen Eltern die Geburtsurkunde aushändigte, traf sie der Schlag: Da stand tatsächlich »Hasnain Niels Kazim« – und Niels war als Rufname unterstrichen.
Karin hatte mich bei einem Standesbeamten gemeldet.
Als meine Eltern mir das zum ersten Mal erzählten, ich war da vielleicht acht Jahre alt, konnte ich es nicht glauben: Ich heiße Niels wegen eines Missverständnisses. »Gegen diesen Namen hatte ich ja nichts, aber ich dachte in diesem
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