Gruenkohl und Curry
wieder zu Missverständnissen.« Die kleine Ronda wollte sich das Baby angucken, als es gestillt wurde, und hüpfte dabei auf dem Sofa herum, auf dem meine Mutter mit mir saß. Meine Mutter wollte ihr sagen, dass sie still sitzen müsse, sonst wackele es zu sehr. Ronda verstand sie nicht, rannte aus dem Zimmer und begann zu weinen. Sie dachte, meine Mutter wollte sie beim Stillen nicht dabeihaben. »Ich konnte mich ihr nicht verständlich machen.« Das Reden mit Händen und Füßen klappte nicht immer.
Ich war, sagt man mir, ein Schreikind, das seinen Eltern viel Aufmerksamkeit abverlangte. Ich machte es ihnen in einer Zeit voller neuer Eindrücke nicht gerade leichter.
Inzwischen war es Anfang Dezember, meine Eltern lebten schon seit zweieinhalb Monaten bei der Familie Koch. Wäre es nach Omi und Opi gegangen, wären wir wahrscheinlich noch heute dort, aber meine Eltern bekamen inzwischen ein schlechtes Gewissen. Eine eigene Wohnung zu mieten trauten sie sich in diesem fremden Land dann doch nicht, zumal mein Vater jetzt sein lange geplantes Kapitänspatent machen wollte, aber nicht feststand, welche Seefahrtschule den nächsten Lehrgang anbieten würde.
In diese Überlegungen hinein rief Ingnot Schmeiser an, ein Schiffsingenieur, mit dem mein Vater eine Zeit lang zur See gefahren war. Ingnot lebte mit seiner Frau Ingrid und den Töchtern Heidi und Anja in Mannheim, besuchte aber auch gerade eine Schule in Bremen. Er merkte meinen Eltern eine gewisse Unruhe an, meine Mutter erklärte ihm, dass sie dringend eine Unterkunft brauchten, nachdem sie schon so viele Wochen bei Kochs gelebt hatten. Spontan luden Schmeisers sie nach Mannheim ein: Sie könnten doch ein paar Tage bei ihnen bleiben, bis klar sei, wo der nächste Lehrgang zum Kapitänspatent beginne. Dann könnten sie sich in Ruhe eine Wohnung suchen. Erleichtert sagten meine Eltern zu.
Ich glaube, Kochs waren alles andere als glücklich, dass meine Eltern weg wollten. Sie ließen uns nur ungern ziehen. Dauerhaft verübelt haben sie die Entscheidung meinen Eltern aber nicht, denn der Kontakt blieb über all die Jahrzehnte bestehen. Sie waren eben meine Omi und mein Opi und wurden es später auch für meine Schwester.
So zogen wir im Dezember 1974 nach Mannheim in die Lange Rötterstraße. Der Umzug verlief problemlos: Viel besaßen meine Eltern nicht, insgesamt passte alles in zwei Koffer. Auch mit Ingrid verständigte sich meine Mutter mit Händen und Füßen. Ingrid erfuhr, dass meine Mutter gerne nähte, und lieh ihr ihre Nähmaschine. Eines Tages bekam ich, wie alle Säuglinge, Fieber und musste mich übergeben. Meine Mutter erklärte Ingrid gerade, dass sie Medikamente für mich brauchte, aber Ingrid schnappte sich nur ihre Jacke und rannte aus der Wohnung. Meine Mutter war irritiert. Hatte sie etwas Falsches gesagt? Ein paar Minuten später kam Ingrid zurück – sie hatte die richtigen Mittel schon besorgt. »Ich wusste ja, was das Kind braucht. Es war kurz vor achtzehn Uhr, die Apotheke machte gleich zu und es hätte einfach zu lange gedauert, wenn ich dich hätte weiterreden lassen«, entschuldigte sie sich später.
Ingrid arbeitete bis zum Nachmittag, meine Mutter erkundete in der Zeit zu Fuß die unmittelbare Umgebung. Für längere Spaziergänge packte sie mich in den Kinderwagen, den sie gebraucht für fünfzig Mark erstanden hatte. Gegen Mittag, nach Schul- und Kindergartenschluss, trudelten die neunjährige Heidi und die fünfjährige Anja ein. »Anja sagte zur Begrüßung immer: ›Die Mutti kommt um eins.‹ Ich glaube, sie sagte es eher zu sich selbst als zu mir, um sich zu beruhigen«, erzählt meine Mutter. Ingrid erinnert sich daran, dass ihre Töchter meine Gesellschaft geliebt haben: Plötzlich war ein Baby da, um das sie sich kümmern konnten. »Für uns war das eine wunderbare Zeit.«
Das erste Weihnachten in ihrem Leben feierten meine Eltern in Mannheim, zum ersten Mal sahen sie einen geschmückten Tannenbaum in einer Wohnung. Ingnot und mein Vater waren aus Bremen gekommen, sie hatten bis ins neue Jahr hinein frei. »Gefeiert wurde im Kreis der Familie«, erzählt meine Mutter, »bei Ingnots Eltern, die auch in Mannheim lebten.« Marlies, eine Freundin Ingrids, lud alle zu Silvester ein. Sie wohnte ein paar Stockwerke über Ingrid, sodass sie nur die Treppe hinaufsteigen mussten. »Von dort haben wir das Feuerwerk über der Stadt gesehen und um Mitternacht gab es Sekt«, erinnert sich meine Mutter. Bei Omi und Opi hatte sie
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