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Gruenkohl und Curry

Gruenkohl und Curry

Titel: Gruenkohl und Curry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hasnain Kazim
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blicken konnte, hinter dem die Elbe in Richtung Nordsee fließt.
    Es war ein altes Backsteinhaus mit vier Wohnungen, umgeben von einem großen Obstgarten mit Kirschbäumen. Vor dem Haus überragte ein beeindruckender Ahornbaum das Dach. Der Hausbesitzer hatte demjenigen, der ihm einen zuverlässigen Mieter verschaffte, hundert Mark Belohnung versprochen, viel Geld für die damalige Zeit. Eine Frau aus Twielenfleth, die sich das verdienen wollte, hatte auf die Zeitungsannonce meiner Eltern reagiert und sie in Mannheim angerufen.
    »Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen: Es war inzwischen schon dunkel draußen, im gegenüberliegenden Haus brannte Licht«, sagt meine Mutter. Der Ort strahlte eine Behaglichkeit aus, die ihr sofort gefiel. »Als wir den Hausflur betraten, hörte ich, wie in einer Wohnung eine Frau Englisch sprach. Da dachte ich: Gott sei Dank, hier kann mich jemand verstehen. Hier bleiben wir.« Später stellte sich heraus, dass es sich bei der Frau um eine ältere Dame handelte, Frau Budde, die zwar kein Wort Englisch, dafür aber Plattdeutsch sprach. Das hatte meine Mutter als Englisch wahrgenommen.
    Meine Eltern stiegen die achtzehn Stufen zu der oberen Wohnung hinauf. Der Hausbesitzer Peter Cordes, der direkt nebenan ein Bauunternehmen führte, war an jenem Tag nicht da. Die Wohnungsvermittlerin, sie hieß Gudrun Gondeck, schloss ihnen die Tür auf.
    Es war ein gemütliches Zwei-Zimmer-Appartement im Dachgeschoss mit vielen Schrägen. »Die Wohnung war komplett eingerichtet, mit uralten, hässlichen Möbeln, wahrscheinlich noch aus Vorkriegszeiten«, sagt mein Vater. »Aber das war uns in diesem Moment egal, wir waren froh, eine Wohnung gefunden zu haben, die uns gefiel.«
    Meine Eltern blieben.
    Als Seemann passte mein Vater gut in die Region, die eine lange Seefahrertradition hat. Schon 1774 fragte die Stader Regierung hier an,
»ob ein oder ander Untertan mit eigenen Schiffsgefäßen nach auswärtigen Reichen und Häfen fahre und besonders, es sei für eigene Rechnung oder für Fracht, inländische Produkte und Kaufmannsgüter auswärts bringe und ob solche durch Prämien nicht noch mehr dazu aufgemuntert werden könnten«
. Ein bisschen erinnert das an die Anzeige der Bremer Hansa-Reederei, auf die sich mein Vater einst beworben hatte.
    Ingnot verabschiedete sich sofort nach Bremen. Er war froh, dass er dieses schreiende Kind nicht mehr ertragen musste.
    Meine Mutter beschreibt ihren ersten Eindruck: »Auf dem Bett im Schlafzimmer lagen Kissen und Decken, aber natürlich keine Bettwäsche. Es war schon spät und wir konnten nichts mehr einkaufen, also schliefen wir einfach so in dem Bett.«
    Und was, wenn nicht einmal Kissen und Decke da gewesen wären?
    »Ja, weiß ich auch nicht. Es hat aber alles geklappt.«
    Es wurde das Paradies meiner ersten Lebensjahre. Ich erinnere mich an das Sofa im Wohnzimmer, mit beigefarbenem Stoff bezogen und so elastischen Metallfedern, dass man wunderbar darauf herumspringen konnte, an einen alten, dunklen Holzschrank mit Glastüren, in dem meine Eltern all das Zeug präsentierten, das mein Vater aus verschiedenen Ländern mitgebracht hatte: Schnitzereien, Vasen und eine spanische Flamencotänzerin im gelben Kleid. Ich bestaunte diese Sachen oft. Mittlerweile bin ich überzeugt, dass fast jede pakistanische und indische Familie, egal wo sie lebt, bei sich zu Hause eine Glasvitrine mit Souvenirs hat.
    Ich erinnere mich an einen Besuch bei einem Onkel und einer Tante in Karatschi, ich war da noch ein Kind. In ihrem Wohnzimmer stand ein Glasschrank, in dem Figuren aus ›Star Wars‹, Spielzeugautos und ein Taschenrechner, der auf Knopfdruck diverse Melodien in gruseligen Pieptönen spielte, ausgestellt waren. Ihr Sohn durfte sich diese Sachen nur anschauen, aber nicht anfassen. Das Spielzeug hatten Verwandte aus den USA geschickt. Als ich zu Besuch war, wurden die Sachen ausnahmsweise herausgeholt und mein Cousin und ich durften damit spielen. Den Taschenrechner bekam ich zum Abschied sogar geschenkt.
    Meine Eltern haben sich in all den Jahren in Deutschland sehr verändert: Bei ihnen gibt es heute keinen Ausstellungsschrank mehr.
    Im Schlafzimmer standen ein dunkelbrauner Kleiderschrank mit einem Spiegel an einer Tür, in dem ich mich manchmal versteckte, und unter einer Schräge mit Kippfenster ein dazu passendes Doppelbett. Wenn man im Bett lag, konnte man den Himmel und die Äste der Kirschbäume sehen. Von dort beobachtete ich gerne Flugzeuge,

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