Gruenkohl und Curry
die ihre Kondensstreifen zogen. Das Badezimmer war blau gefliest, in der Küche standen ein paar zusammengesuchte Schränke, ein Elektroherd und in einer Ecke ein Esstisch und Stühle mit rotem Kunststoffbezug.
Gudrun Gondeck tauchte am nächsten Tag wieder auf und führte meine Eltern durch das Dorf: zum Lebensmittelladen, nach heutigem Maßstab eher ein Kiosk, und zur Schlachterei Jenke. Geschäfte, die es längst nicht mehr gibt. Sie zeigte meinen Eltern die nächste Bushaltestelle und nahm sie in ihrem Auto mit nach Stade, zu einem größeren Einkaufsmarkt, damit meine Eltern die alltäglichen Dinge kaufen konnten, die ihnen fehlten: Bettwäsche, Handtücher, ein paar Kosmetika, Lebensmittel. Anschließend fuhr sie meine Eltern zu einer Frau in Twielenfleth, von der sie wusste, dass sie ihr altes Kochtopfset verkaufen wollte – damals wurde weniger weggeschmissen als heute. Für fünfzig Mark erstanden meine Eltern vier gebrauchte Kochtöpfe. »Das war damals ganz schön viel Geld«, sagt meine Mutter. »Aber egal. Hauptsache, wir hatten Töpfe.«
Für meinen Vater war das der zweite Anfang bei Null, doch diesmal war keine Vertreibung vorausgegangen, war er nicht auf der Flucht. Und er wusste: Die Türen seines Elternhauses in Karatschi standen ihm, seiner Frau und seinem Sohn jederzeit offen – es gab ein Netz, in das er fallen konnte.
Ihre Sachen, die sie noch in Pakistan hatten, wollten meine Eltern nicht nach Deutschland verschiffen lassen. Es war preiswerter, sich hier neu auszustatten.
Für meine Mutter war es eine gänzlich ungewohnte Situation: Zu Hause in Karatschi hatte ihre Familie zwei Autos mit Chauffeur, mehrere Angestellte, ein schickes Haus, einen Fernseher, längst Telefonanschluss. Ständig herrschte ein Kommen und Gehen. Und hier? Nichts. Kein Auto, keine Bediensteten, kein Telefon. Keine Freunde, keine Verwandten. Nur eine Zwei-Zimmer-Wohnung.
Mein Vater musste bis zum Lehrgangsbeginn Anfang März wieder aufs Schiff, meine Mutter blieb alleine mit mir zurück.
»Ich hatte nicht mal einen Fernseher oder ein Radio«, sagt sie. »Ich weiß gar nicht, wie ich das ausgehalten habe. Im Vergleich zum Leben in Karatschi hatte sich mein Lebensstandard deutlich verschlechtert. Heute würde ich gleich am zweiten Tag abhauen.«
Sie denkt an diese Zeit.
»Erst jetzt kam der Kulturschock.«
Ein Leben in der Kleinfamilie. Ohne Hilfe der großen Verwandtschaft. Jeden Tag selbst kochen. Die Wohnung selbst putzen. Das Kind selbst versorgen. Alles alleine machen müssen. Und niemanden haben, der das Problem versteht. Kein Pakistaner, kein Inder weit und breit. Nur wir. So etwas kann einen Kulturschock ausmachen.
Auf die Idee, Fernseher und Radio ohne meinen Vater zu kaufen, kam sie gar nicht. Dazu fühlte sie sich noch viel zu unsicher in der fremden Umgebung. Erst einige Wochen später nahmen sie etwas von den Ersparnissen und kauften diese Geräte und einen Plattenspieler mit futuristisch gerundetem, weißem Kunststoffgehäuse gleich dazu.
Geld war knapp, obwohl mein Vater all die Jahre sparsam gelebt und zuletzt als Offizier gut verdient hatte. Aber die Rücklagen mussten die kommenden eineinhalb Jahre ausreichen. Solange mein Vater die Seefahrtschule besuchte, verdiente er kein Geld. Das sorglose Leben in Wohlstand war in Pakistan geblieben. »Aber wir waren glücklich. Vielleicht hatten wir nicht viel, als wir nach Hollern kamen, aber es fehlte uns an nichts«, stellt mein Vater heute fest.
Das, was fehlte, besorgten sie sich nach und nach: elektrische Geräte wie Haartrockner, Kühlschrank und Waschmaschine, außerdem Winterkleidung, Küchenutensilien, ein paar Möbelstücke.
Meine Mutter hätte regelmäßig explodieren können, wenn manche Leute so taten, als sei sie dem Urwald entflohen. »Ach, Sie hatten schon einen Herd? Ich dachte, so etwas gibt es dort noch nicht, in – na, wie heißt das noch gleich, wo Sie herkommen?«, sagte ihr einmal eine Frau, mit der sie im örtlichen Blumengeschäft über Rezepte ins Gespräch kam.
»Die dachte wirklich, ich hätte in Pakistan in einer Höhle gelebt und auf offenem Feuer gekocht, was die Männer tagsüber gejagt und nach Hause gebracht hatten. Wahrscheinlich glaubte sie auch, dass ich aus dem Fell unsere Kleidung nähte, mit Nadeln aus Knochen.«
Auf solche Fragen ging meine Mutter aber trotzdem höflich ein, erklärte, dass sie es in Karatschi sehr gut gehabt habe, ersparte den Menschen aber Details über den Wohlstand ihrer Familie.
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