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Gruenkohl und Curry

Gruenkohl und Curry

Titel: Gruenkohl und Curry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hasnain Kazim
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erster Linie konservativ denkende Leute kennenlernten, vielleicht lag es aber auch daran, dass Menschen in ländlichen Regionen eben so sind.
    Für meine Eltern blieb das nicht ohne Folgen.
    Man mag meinen, dass ein konservatives deutsches Umfeld und Ausländer nicht zusammenpassen. Aber es passte bestens. Denn Muslime aus Karatschi und Christen aus Hollern-Twielenfleth sind sich ähnlicher, als man annehmen mag. Das gilt ganz grundsätzlich für tendenziell konservative Menschen: Sie haben Familiensinn, lieben ihre Heimat, sind im Glauben verwurzelt und gastfreundlich. Sie erwarten Toleranz gegenüber ihren Werten und mögen es, wenn man ihre Traditionen annimmt. Fremdem stehen sie zwar eher kritisch gegenüber, aber konfrontiert man sie behutsam mit dem Andersartigen, sind sie doch ganz aufgeschlossen. Respekt erwidern sie mit Respekt, Großherzigkeit mit Großherzigkeit und Wärme mit Wärme. Womöglich ist das die größte Stärke und die größte Schwäche des Konservatismus: dass er Gleiches mit Gleichem beantwortet.
    Glücklicherweise hat die harte konservative Schale oft einen weichen, durchaus liberalen Kern.
    Vielleicht war es dieses Umfeld, vielleicht waren es die vielen Gespräche mit Freunden, wahrscheinlich alles zusammen, das den Wunsch meiner Eltern wachsen ließ, der evangelischen Kirche beizutreten. Sie wollten, dass meine Schwester und ich so normal wie möglich in Deutschland aufwuchsen.
    Hinzu kam, dass meine Mutter sich zunehmend über islamische Politiker und Mullahs ärgerte, die Religion als Machtmittel missbrauchten, die von den Menschen unbedingten Gehorsam forderten, ohne sich selbst an die Regeln zu halten, die Religion dazu benutzten, andere zu unterdrücken. Die Bilder von der islamischen Revolution im Iran hatten sie schockiert. »Der Islam ist eine vernünftige Religion, aber viele Muslime tun in seinem Namen Dinge, die in Wahrheit einzig und allein ihrem eigenen Interesse dienen«, sagte sie.
    In Hollern-Twielenfleth machten die Überlegungen meiner Eltern die Runde. Die Leiterin der Grundschule, Erdmute Pape, sprach meine Eltern auf einem Dorffest an.
    »Sie wollen konvertieren, höre ich.«
    »Wir denken darüber nach, ja, warum fragen Sie?«, erkundigte sich meine Mutter.
    »Ich dachte nur, falls Sie für Hasnain nach einer Patin suchen – ich stehe gerne zur Verfügung.«
    Meine Eltern waren überrascht. Sie kannten diese Frau nur flüchtig, aber sie bot an, meine Patentante zu werden. So stark war die Bereitschaft im Dorf, uns zu helfen. Meine Eltern fühlten sich geehrt. Sie erzählten beiläufig Tante Wilma und Onkel Konrad davon. Tante Wilma sagte sofort, sie wolle auch Patin werden. Ihre Tochter Karina äußerte sich genauso.
    Meine Eltern konnten sich aber noch nicht zu diesem großen Schritt entschließen. Wer wechselt schon so leicht seine Religion?
    Was würden die muslimischen Verwandten sagen? Würden sie es verstehen? Oder wäre es das Aus der verwandtschaftlichen Beziehungen? Aber was wäre so schlimm daran zu konvertieren? Wir würden doch dieselben Menschen bleiben, mit denselben Ansichten und denselben Werten.
    Meine Mutter telefonierte mit ihrer Mutter. Irgendwie lenkte sie das Gespräch auf das Thema Religion, sie sprachen ganz allgemein darüber. Sie mochte ihr nicht direkt sagen, was in ihr vorging. Aber meine Großmutter muss es gespürt haben.
    »Es ist egal, welcher Religion du angehörst. Alle Religionen haben die gleiche Botschaft. Hauptsache, du bist glücklich und ein guter Mensch«, sagte Qamar Jehan weise.
    Mit ihrem Vater Manzoor Ali Naqvi redete meine Mutter lieber nicht darüber – es hätte ihm, dem sehr gläubigen Muslim, vermutlich das Herz gebrochen, hätte er von ihren Gedanken erfahren. Er akzeptierte, dass meine Mutter in einem christlich geprägten Land lebte und christliche Freunde hatte, schließlich hatte er selbst seine Kinder an eine katholische Schule geschickt. Aber er war zu tief im Islam verankert, als dass er den Wechsel eines seiner Kinder zum Christentum verwunden hätte. Sicher ist sich meine Mutter zwar nicht, aber sie wollte ihm den Schmerz ersparen.
    Im Sommer 1982 besuchten wir Pastor Lochte zum ersten Mal. Ein fülliger Mann Mitte fünfzig mit schütterem Haar und langen, grauen Strähnen an einer Seite, die er sich über den Kopf legte, und mit dicker Brille, die seine Augen wie eine Lupe vergrößerten, öffnete die Tür.
    »Kommen Sie herein, ich habe schon von Ihnen gehört«, begrüßte er uns. Mit kleinen Schritten

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