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Gruenkohl und Curry

Gruenkohl und Curry

Titel: Gruenkohl und Curry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hasnain Kazim
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schlurfte er in sein Büro voraus, wir folgten ihm. Im Flur hingen Bilder von Menschen aus verschiedenen Ländern, der Pastor war in seinem Leben viel in der Welt umhergereist und hatte dabei fotografiert.
    Meine Eltern erzählten ihm ihre Geschichte: wie sehr sie sich ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland und eine permanente Arbeitserlaubnis für meinen Vater wünschten; wie gern sie im Alten Land lebten; wie sehr sie hofften, dass ihre Kinder in Deutschland groß würden.
    Lochte hörte sich alles aufmerksam an, ohne etwas zu sagen. Dann fing er an zu telefonieren.
    Pastor Lochte war der erste Mensch mit zwei Telefonen auf einem türgroßen Schreibtisch, den ich kennenlernte: zwei grüne Apparate mit ratternder Wählscheibe. Es hätte auch der Arbeitsplatz des amerikanischen Präsidenten sein können, mit Standleitung nach Moskau. Ich sah ihn später oft, wie er beide Hörer gleichzeitig in Händen hielt, in der einen Leitung eines seiner Gemeindemitglieder, für das er sich in irgendeiner Sache einsetzte, in der anderen ein Kommunalpolitiker oder ein Behördenmitarbeiter, den er anschrie, um seinem Willen Nachdruck zu verleihen.
    Auch die Gottesdienste, die er hielt, waren nicht frei von Politik: Jeden Sonntag betete er für ein »einiges Vaterland«. Als Kind dachte ich, dass diese Formulierung genauso zur Liturgie gehört wie das Vaterunser, schließlich kam sie in Lochtes Gebeten regelmäßig vor. Gleichzeitig wunderte ich mich, was er damit eigentlich meinte. Er erlebte noch, dass seine Gebete erhört wurden, bevor er 1991 starb.
    Pastor Lochte setzte Gott und die Welt in Bewegung, um uns zu helfen. Er schrieb Briefe und sprach mit Politikern und Leuten in der Landkreisverwaltung. Manchen redete er gut zu, andere rief er in unserer Gegenwart von seiner Schaltzentrale aus an und brüllte sie dermaßen zusammen, dass die Wände zitterten. Dann knallte er den Hörer auf das Telefon und sagte in der nächsten Sekunde seelenruhig zu meinen Eltern: »Machen Sie sich mal keine Sorgen, mit Gottes Hilfe bekommen wir das schon hin. Es gibt keine Barrikaden – und wenn, bin ich bereit, sie zu erklimmen.«
    Bis zu einer endgültigen Entscheidung, ob wir bleiben durften oder nicht, sollten viele weitere Jahre vergehen. Aber Pastor Lochte schenkte meinen Eltern die Zuversicht, dass die Sache gut für sie ausgehen könnte. Lochte war eine beeindruckende Erscheinung, körperlich wie stimmlich, und er wusste seine Fähigkeiten einzusetzen, um Dinge in seiner Gemeinde zu bewegen.
    Spätestens jetzt stand für meine Mutter fest, dass sie sich taufen lassen wollte. Sie war überzeugt, richtig zu handeln. Ihre Mutter hatte ihr ihren Segen gegeben, wenn auch indirekt. Es mag für diese Entscheidung eine Rolle gespielt haben, auf diese Weise Pastor Lochte für sein Engagement und den vielen Freunden für ihre Hilfe zu danken. Sicher ging es ihr auch um ein Zeichen der Integration. Aber niemand drängte sie, diesen Schritt zu tun. Sie sagt, sie tat ihn freiwillig und aus ihrem Glauben heraus – gemeinsam mit meiner Schwester und mir. Wir waren damals vier und acht Jahre alt.
    Meinem Vater kamen nun doch Zweifel, ob er konvertieren sollte. Er hatte nichts dagegen, dass meine Mutter diesen Weg ging, aber er selbst wollte nicht. Er hatte mit Religion, ob Christentum oder Islam, nicht viel am Hut.
    Am 26. Dezember 1982 ließen meine Mutter, meine Schwester und ich uns in der St.-Marien-Kirche in Grünendeich taufen, nur wenige hundert Meter von der Seefahrtschule entfernt, mit der vor Jahren alles begonnen hatte. Erdmute Pape, die ich nun Tante Ute nannte, wurde tatsächlich meine Patentante, Tante Wilma und Karina übernahmen diese Aufgabe für meine Mutter und meine Schwester. Jetzt konnte wirklich niemand mehr sagen, wir würden uns nicht integrieren.
    Aber wie viel Integration ist eigentlich nötig? In welchem Gesetz steht, was man tun muss, um in Deutschland leben zu dürfen? Und wie wird man Deutscher? Wenn man auf deutschem Boden geboren wird? Oder nur, wenn man von einem Deutschen abstammt? Auf Antrag?
    Und kann man zwei Welten miteinander vereinen? Kann man Christ und Muslim zugleich sein? Kann man es seinen deutschen Freunden und seiner islamischen Verwandtschaft zugleich recht machen? Den Sohn beschneiden lassen, weil die islamische Tante das erwartet, und wenig später taufen lassen, um eine größtmögliche Integration zu vollziehen?
    Sicher doch: Wer in einem anderen Land leben will, sollte mit den Einheimischen

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