Gruenkohl und Curry
vorzuwerfen. Ganz abgesehen davon stand schon der Vorwurf im Raum, die deutschen Behörden mit der Angabe, nur für begrenzte Zeit in Deutschland bleiben zu wollen, belogen zu haben. Noch so einen Vorwurf wollten meine Eltern sich nicht gefallen lassen.
Als Ingrid und Ingnot uns in Hollern besuchten, sagten sie im Spaß, meine Eltern könnten sich doch scheiden lassen und jeweils einen deutschen Partner heiraten – damit wären alle Probleme gelöst. Meine Eltern lachten. Ich bekam die Unterhaltung zufällig mit und geriet in Panik. Dass es als Witz gemeint war, verstand ich erst Jahre später.
Der Oberkreisdirektor von Stade versicherte Pastor Lochte im Februar 1983 in einem Brief, dass wir bis zur endgültigen gerichtlichen Klärung nicht ausgewiesen würden.
Lochte antwortete ihm im März 1983:
Sehr geehrter Herr Oberkreisdirektor,
Frau Kazim und ihre Kinder sind inzwischen durch die Taufe in unsere Kirche aufgenommen worden. Ich habe keinen Zweifel, daß der Prozeß der Integration in unsere Gesellschaft für Kinder und Eltern einen erfolgreichen Verlauf nimmt.
Schwierigkeiten hat Herr Hasan Kazim jetzt aber mit seiner beruflichen Tätigkeit als Steuermann
[seemännisch für Erster Offizier]
. Als es im Dezember so lange nicht gewiß war, daß die Familie hier noch bleiben kann, ist er von seiner Firma leider kurzfristig entlassen worden. Die Sache liegt natürlich noch beim Arbeitsgericht, wie auch die Gewerkschaft ÖTV sich eingeschaltet hat.
Wünschenswert wäre es jedoch nun im Interesse der Familie,
wenn die »Duldung bis zur Abschiebung« in eine – eventuell länger befristete – Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis umgewandelt werden könnte. Läßt sich so etwas machen?
Ich danke Ihnen sehr für Ihr Verständnis.
W. Lochte
Offensichtlich ließ sich das nicht machen, denn der Beamte mit dem Schnurrbart, ein Untergebener des Oberkreisdirektors, schrieb im Sommer an den Landwirtschaftsstaatssekretär in Bonn, Wolfgang von Geldern, der ebenfalls beim Landkreis Stade interveniert hatte:
Lieber Herr von Geldern!
Ich bleibe bei meiner Zusage, sobald es rechtlich möglich ist, die Duldung des Aufenthaltes für die Familie Kazim in eine Aufenthaltserlaubnis umzuwandeln. Leider kann ich dies gegenwärtig noch nicht tun, da Erteilung bzw. Nichterteilung einer Aufenthaltserlaubnis Gegenstand eines Verwaltungsstreitverfahrens beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg ist.
Wir sind uns sicher einig, daß schon viel zu viel unnötige Aktivitäten zur Unzeit von der Familie Kazim in Gang gesetzt worden sind. Denn inzwischen hat der MI
[der niedersächsische Minister des Inneren]
der Bezirksregierung Weisung erteilt, daß auf jeden Fall das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg abgewartet werden soll.
Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie den an Sie herantretenden Persönlichkeiten, die sicher alle in guter Absicht handeln, Behutsamkeit empfehlen würden. Ich selbst empfange in dieser Angelegenheit niemanden, weil es der Sache Kazim nicht dienlich ist. Wenn die Angelegenheit an die Öffentlichkeit kommen sollte, können alle Behörden nur nach geltendem Recht verfahren und Kompromißmöglichkeiten sind verbaut.
Sobald sich Entscheidungen vorbereiten und vollziehen lassen, werde ich Sie unaufgefordert unterrichten.
Im Dezember 1983 entschied auch das Oberverwaltungsgericht gegen uns. Es sah wieder einmal so aus, als hätten wir keine Chance mehr zu bleiben.
Pastor Lochte hatte fest damit gerechnet, dass das Gericht irgendwo einen Verfahrensfehler entdecken und eine neue Entscheidung über eine Verlängerung unserer Aufenthaltserlaubnis durch den Landkreis verlangen würde. Dann hätte er all seinen Einfluss geltend machen können. Aber diese Chance bekamen wir nicht.
Lochte rief den Beamten mit dem Schnurrbart an und beharrte darauf, dass die Richter mit ihrer Aussage, es handele sich um eine »ermessensfehlerfreie Entscheidung«, immerhin festgestellt hatten, dass es eine Ermessensentscheidung war.
»Warum haben Sie also die Aufenthaltserlaubnis für die Familie Kazim nicht verlängert?«, fragte er ihn.
Der Beamte sagte etwas von Grenzen, die ihm die Vorschriften setzten, brachte dieselben Formulierungen, die schon in der Urteilsbegründung standen, und versprach, sich die Sache noch einmal anzuschauen. Er wollte weiteren Ärger mit Lochte vermeiden. Deshalb bestellte er meinen Vater zu einem Gespräch ein und machte einen Vorschlag: Wenn sich mein Vater weiter ausbilden ließe und das
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