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Grünmantel

Grünmantel

Titel: Grünmantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles de Lint
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können ihnen nicht so leicht entkommen wie der Hirsch ...
    Gott - waren sie deswegen da draußen? Dachten sie vielleicht, sie sei ein weiteres abgebröckeltes Stück des Großen Mysteriums in Gestalt eines Teenagers?
    Beklommen beobachtete sie, wie die Gestalten am Rand der Bäume auf und ab liefen. Ruf Tony, schoß es ihr durch den Kopf. Doch was konnte er schon gegen solche Wesen unternehmen? Sie erschießen? Sie erinnerte sich wieder daran, wie die Männer, die sie entführen wollten, vor ein paar Nächten auf den Hirsch geschossen hatten. Sie hatten kein Glück damit gehabt.
    Wieso sollten diese Kreaturen anders sein?
    Sie öffnete den Mund, um Tony trotzdem zu rufen. Doch ihr Hals war wie zugeschnürt, und aus ihrem Mund drang nur ein Krächzen. Sie schluckte und versuchte es noch einmal, ehe sie bemerkte, wie die Meute nach und nach im Wald verschwand. Der Zauber, der Ali an ihren Platz beim Fenster gefesselt hatte, löste sich. Sie schloß rasch das Fenster und legte sich aufs Bett. Die Muskeln in ihrem Körper waren weich wie Gelee.
    Wenn der Hirsch befreit wurde, was geschah dann mit der Wilden Jagd? Nur nicht darüber nachdenken! War die Meute tatsächlich hinter ihr her? Was sollte sie tun?
    Da lag sie auf dem Rücken, starrte zur dunklen Decke hinauf und wünschte sich, die Welt möge sich langsamer drehen. Das also passiert, wenn man denkt, ein Abenteuer mache nur Spaß. Man vergißt ganz die furchteinflößenden Abschnitte, aber hinterher ist es zu spät. Man steckt dann schon mittendrin.
    Sie glaubte nicht, daß sie schlafen könne, aufgedreht, wie sie war. Doch als sie darüber nachgrübelte, wie sie am nächsten Tag Mally aufstöbern könnte, fielen ihr die Augen zu, und sie schlief mitten in dieser Überlegung ein.

    Frankie gelang das Einschlafen nicht so gut. Die Nachwirkungen der Schrecken, die sie an diesem Tag erlebt hatte, ließen sie nicht zur Ruhe kommen. Nichts schien sie beruhigen zu können. Sie krallte die Hände in das Laken und zerrte daran, und dann kamen die Krämpfe. Wie sie sich auch hinlegte, sie konnte sie nicht lindern. Sie waren wie Menstruationsbeschwerden - nur viel stärker. Ihre Unterleibsmuskeln schienen sich in Spasmen zu verhärten, und vor Schmerz schossen ihr Tränen in die Augen. Und das war heute schon das zweite Mal, daß sie diese Qual durchmachte.
    Das erste Mal hatte sie sie erduldet, nachdem Sherry sie nach oben gebracht und ihr beim Duschen geholfen hatte. Ohne ihre Hilfe wäre sie in der Badewanne zusammengebrochen, doch Sherry hatte das Problem sofort erkannt und sie ins Schlafzimmer und zum Bett getragen.
    »Haben Sie Valium im Haus oder ein anderes krampflösendes Mittel?« hatte sie Frankie gefragt.
    Frankie hatte nur erschöpft den Kopf geschüttelt.
    »Okay. Dann bleiben Sie ganz ruhig liegen. Ihr Körper reagiert jetzt auf das, was Ihnen widerfahren ist. Manchmal dauert es eine gewisse Zeit, bis es dazu kommt, aber jeder macht das durch. Versuchen Sie, die Beine zu strecken. So ist es gut. Und nun bleiben Sie still liegen. Atmen Sie nicht zu schnell, sonst könnten Sie hyperventilieren. Holen Sie tief Luft und halten Sie den Atem an. So, und nun atmen Sie aus. Pause. Und wieder einatmen ...«
    Nach einer Weile war der Schmerz abgeflaut, und auch jetzt, als Frankie Sherrys Anweisungen befolgte, lösten sich die Knoten langsam. Sie dachte daran, Tony nach etwas Valium zu fragen, wagte aber nicht aufzustehen. Was, wenn sie an der Treppe zusammenbrach und hinunterfiel? Oder einfach nur stolperte ...? Sie konnte die Vorstellung, wie er ihr aufhalf, wie er sie berührte, nicht ertragen. Es war nicht wegen Tony - sie hätte im Moment die Berührung eines jeden Mannes nicht ertragen können.
    Einatmen, Pause, ausatmen. Sie verfiel wieder in eine verlangsamte Atmung, als die Panik eine neue Schmerzwelle im Unterleib auslöste. Oh, warum mußte ihr Körper auch so schwach sein? Warum konnte sie diese ... diese Erinnerung nicht einfach auslöschen? Sie fühlte sich immer noch beschmutzt - selbst nach dem zweimaligen Duschen in ihrem Haus und hier.
    Egal, wie oft sie sich auch einseifte, sie fühlte sich immer noch besudelt. Einatmen - Pause - ausatmen. Einen Moment warten. Einatmen ...
    Und wenn dieses Gefühl sie nie mehr losließ?
    Hör auf damit! Ein - Pause - aus. Ein ...
    Sie würde allein damit fertigwerden. Sie würde die Sache mit Earl und diesem verdammten Vergewaltiger überwinden. Aus diesem Grund war sie nach Lanark gekommen. Nicht, um jemanden zu

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