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Grünmantel

Grünmantel

Titel: Grünmantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles de Lint
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finden, an den sie sich wieder anlehnen konnte, egal, ob das nun Tony oder ein anderer Mann war - oder selbst Ali. Sie war hierhergekommen, um auf eigenen Füßen zu stehen, und niemand konnte sie daran hindern. Ein - Pause - aus. Es fiel ihr immer schwerer, ihren Atemrhythmus beizubehalten, während der Zorn in ihr wuchs, und schließlich überließ sie sich ihm ganz. Die Krämpfe wurden nicht schlimmer. Statt dessen schien der Zorn sie zu reinigen. Wenn sie nur nicht so gottverdammt nutzlos wäre!
    Nein, es war ein großer Unterschied, sagte sie sich, ob man sich hilflos bei einem anderen Menschen anlehnte oder ob man einen Freund hatte, der einem auch wie ein Freund half. Und genau das tat Tony. Er war ein Freund für sie und Ali - so wie sie die Freundin von Joy Goldman war. Das hieß aber nicht, daß man jemand anderem die Herrschaft über sich überlassen sollte. Man tat damit nur, was jeder Mensch hier auf Erden tun sollte.
    Meine Güte, das ist ja reinste Sechziger-Jahre-Ideologie, dachte sie. Aber sie war nun mal ein Kind der Sechziger. Diese Jahre hatten sie geprägt und einen weitaus tieferen Eindruck in ihr hinterlassen als die folgenden anderthalb Jahrzehnte. Also mußte sie auch danach leben und weitermachen! Erst die Sache mit Earl und dem Schuft bereinigen, der sie angefallen hatte, und dann weitermachen! Nur weil diese Kreaturen blind und ohne Mitgefühl gegenüber ihren Mitmenschen waren, hieß das noch lange nicht, daß sie auch so werden mußte. Von solchen Typen ließ sie sich nicht unterkriegen!
    Trotzdem konnte sie nicht verhindern, daß ihre Gedanken um den Mann mit dem Pick-up kreisten, während ihre Blicke die Schatten in den Ecken des fremden Zimmers zu durchdringen suchten. Was er wohl machte? Welche Gedanken gingen ihm jetzt durch den Kopf? Wie konnte er einfach hingehen und einer Frau, die er nicht mal kannte, so etwas antun? Oder war er vielleicht schon früher mal an ihrem Haus vorbeigefahren und hatte sie bei der Gartenarbeit beobachtet? War er ihr in Perth oder Lanark begegnet und ihr nach Hause gefolgt, um herauszufinden, wo sie wohnte? Aus welchen Löchern krochen solche Kreaturen hervor?
    Als ihre Krämpfe nachließen, stand sie auf und trat zum Fenster. Du wirst nicht gewinnen, du Lump, dachte sie. Weder du in dem Pick-up noch Earl. So ist das. Ich bin vor euch davongelaufen, so weit es ging. Weiter geht’s nicht mehr. Vergeßt das nicht, wenn ihr das nächste Mal zu mir kommt. Denn wenn die Welt nur zu einem besseren Ort wird, wenn man euch weh tut, dann werde ich euch weh tun, verlaßt euch drauf!
    Zum ersten Mal seit Tagen fühlte sie sich stark. Wie sie da so stand mit verschränkten Armen und den kühlen Boden unter den nackten Füßen spürte, hatte sie das Gefühl, daß sie wirklich mit allem fertigwerden konnte.
    Sie dachte an den Weg von ihrem Haus hierher, an die plötzlich losbrechende Gewalt, daran, wie ein Mann starb, wie Tom Bannon schwer verletzt wurde, an die Pistolen ... Zu ihrer Verblüffung störte sie dieser Teil der Ereignisse kaum. Wahrscheinlich hatte sie da noch halb unter Schock gestanden und alles nur ganz verschwommen wahrgenommen. Am wichtigsten erschien ihr der Gedanke, Tony am nächsten Morgen zu bitten, ihr eine der Pistolen zu überlassen. Sie würde ihn bitten, ihr das Schießen beizubringen, ihr zu zeigen, wie man die Waffe auseinandernahm und wieder zusammensetzte. Wie man diese Gegenstände pflegte, um sie in Schuß zu halten.
    Sie stieg schließlich wieder ins Bett und war schon eingeschlafen, kaum daß ihr Kopf das Kissen berührt hatte.

KAPITEL ACHTZEHN
    »He, nimm’s nicht so tragisch«, sagte Lisa, als sie auf den Highway einbog. »Ist doch nicht so, als hättest du ’ne Menge in den Burschen investiert oder so.«
    Sherry nickte. »Ich weiß, aber trotzdem ärgert es mich. Ich hätte auf meine innere Stimme hören sollen. Der Kerl ist nur ’n Wurm.«
    »Aber ’n ziemlich verletzter Wurm. Das ist ja das Elend mit dir, Sherry. Du stürzt dich sofort auf alles, was ’n bißchen Schmerzen hat.«
    »Dann wär ich wohl besser ’n Tierdoktor geworden. Tiere haben einen wenigstens nicht schon vergessen, kaum daß sie sich umdrehen.«
    »Magst recht haben. Aber Frankie war ziemlich nett, meinst du nicht auch? Was mit ihr passiert ist, macht mich verdammt wütend. Doch der Bursche, der sie abholen kam - das war schon was anderes.«
    »Denkst du eigentlich jemals an was anderes , Lisa?«
    »Nicht oft - aber ich arbeite dran, es aus mir

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