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Grünmantel

Grünmantel

Titel: Grünmantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles de Lint
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später hatten sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt, und jetzt sah sie sie aus dem Unterholz auftauchen. Es waren keine Hunde, sondern Männer in Kutten mit Kapuzen. Der erste hielt ein Kreuz in der ausgestreckten Hand.
    »M ... Mally ...?« stammelte Ali.
    Hinter ihr das Feuer, vor ihr die auseinandergezogene Reihe der Meute. Es gab kein Entkommen. Das Mysterium war nicht gekommen, und Mally hatte sie im Stich gelassen. Ich habe euch nicht gerufen, wollte Ali den Kapuzenmännern zurufen, aber die Worte blieben ihr im Hals stecken. Ich wollte das Mysterium ...
    »Hab keine Angst«, sagte der Mann mit dem Kreuz. »Wir sind gekommen, um deine Seele zu retten.«
    Hinter ihm schüttelten zwei Männer Seile aus den Falten ihrer Kutten und näherten sich ihr. Ali richtete den Wanderstab gegen sie, doch ihre Hände zitterten so stark, daß er ihr entglitt und auf den felsigen Untergrund polterte. Ihr wurden die Knie weich, und sie sank kraftlos zu Boden. Mit angstgeweiteten Augen starrte sie den Kapuzenmännern entgegen.
    »B ... bitte, ich brau ... brauche nicht gerettet zu werden.«
    Der Mann mit dem Kreuz schüttelte bedächtig den Kopf. »Du wirst es uns danken, wenn wir es getan haben«, sagte er.
    Die Männer mit den Seilen sprangen vor und packten jeder einen Arm des Mädchens. Dann zerrten sie Ali zu der alten Pinie hinüber. Sie war starr vor Angst und wehrte sich nicht. Ihre Arme waren schlapp und ohne Gefühl. Bitte! rief sie tonlos. Mysterium - ich wollte dir doch nur helfen. Jetzt hilf du mir.
    Ihr lautloses Flehen blieb unbeantwortet. Der Wald blieb still, als die Männer sie an den Baum banden.
    »Du hast einen Dämon in dir«, sagte der Mann mit dem Kruzifix. »Durch die Macht und Güte Gottes werden wir ihn austreiben.«
    Die Fesseln schnitten ihr in die Hand- und Fußgelenke. Plötzlich spürte Ali die Kraft in ihre Glieder zurückkehren und wollte sich wehren, aber es war zu spät. Sie zerrte an den Seilen, die ihr nur noch tiefer ins Fleisch schnitten, als sie sich zu befreien versuchte. Das Blut hämmerte ihr in den Schläfen.
    Der Kapuzenmann hielt ihr das Kreuz dicht vors Gesicht und starrte sie an. Durch den hellen Schein des Feuers im Hintergrund blieb das Innere seiner Kapuze im Dunkeln. Es war so, als habe er kein Gesicht. Die anderen Männer hinter ihm bildeten einen Halbkreis und knieten nieder.
    »O Herr, wir flehen dich an«, intonierte der Kapuzenmann mit monotoner Stimme, »hilf uns, die Welt von diesem Übel zu befreien.«
    Das ist unwirklich, redete Ali sich ein. Das konnte nicht die Wirklichkeit sein. Die Fesseln aber waren wirklich. Deutlich spürte sie die rauhe Rinde des Baumes im Rücken. Es war Wirklichkeit.
    »Wer seid ihr?« rief sie schrill. In ihrer Stimme schwang Panik mit.
    »Deine Erretter, Kind. Fürchte den Dämon in dir, aber nicht uns.«
    Der Kapuzenmann berührte Alis Stirn mit dem Kreuz, und ein glühendheißer Feuerstrom schoß durch ihren Verstand. Ali schrie wieder auf, doch diesmal drang aus ihrem Mund nur ein langes unartikuliertes Wimmern.
    »Vertrau auf den Herrn«, sagte der Kapuzenmann, aber Ali war schon zu weit entfernt, um ihn noch zu verstehen.

KAPITEL SECHS
    Im tanzenden Schein der Flammen betrachtete Mally ihre Begleiterin und hoffte dabei auf das verräterische Glühen des inneren Feuers in Ali. Das Feuer aus Holz und Knochen brannte immer höher. Zusammen mit Tommys Flötenspiel öffnete es Türen in Ali, die sie selbst nicht erahnte. Mally nickte zufrieden.
    Du wirst diesen Ruf beachten, nicht wahr, Old Hornie? dachte sie. Lausch dem Pulsschlag - sieh seine innere Glut. Wie kannst du da widerstehen?
    Mally konnte ihre Aufregung kaum beherrschen. Ein Moment wie dieser war einfach zu selten. Die Mysterien streiften durch immer geringere Weiten, je älter sie wurden, und sie verloren an Statur und an magischer Intensität, bis sie irgendwann einfach verschwanden. Aber heute abend würde Old Hornie wieder einmal wie ein Schwall frischer Luft hinaus in die Welt geschickt werden. Er würde die Herzen der Menschen berühren, sie würden sich aufsetzen und wieder sehen - wenn auch nur für einen Augenblick.
    Die Sterblichen waren so beschaffen, daß sie sich den Rest ihrer Tage nach dieser Sicht sehnten und ihr nachjagten, wenn sie sie auch nur einen winzigen Moment erleben durften. Und die meisten trugen diese Sehnsucht unbewußt als winzigen Bestandteil ihres Lebens für immer in sich, und sie reichte aus, einen Funken der alten Herrlichkeit zu

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