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Grünmantel

Grünmantel

Titel: Grünmantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles de Lint
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entzünden, die in ihren Herzen schon matt wurde. Nicht der Zauber des Mysteriums war wichtig, auch nicht sein Erkennen, sondern die Sehnsucht danach.
    Diese Sehnsucht könnte einen ganzen Wald retten - oder auch nur einen Baum. Ein Mensch könnte freundlicher zu einem anderen sein, an dem er sonst vorbeigegangen wäre. Es war eine Schönheit, die erhalten werden mußte, ganz gleich, ob sie nun in einem Wald, auf einem Feld oder auf einer Straße der Stadt zu finden war. Ob sie in der Farmarbeit lag - vom Säen über das Wachsen bis zum Vermodern - oder in der Tätigkeit einer komplexen Maschine. In der Welt war Platz für alles - solange die Menschen sich der Schönheit der Dinge erinnerten. Und wenn sie sie einmal gesehen hatten wie beispielsweise heute nacht, wenn sie von Old Hornies Gedanken gestreift würden, während er in seiner Freiheit die ganze Welt durchstreifte, dann würden sie sich vielleicht nicht mehr an den Moment erinnern, aber seine Schönheit trotzdem niemals vergessen. Ein Teil ihres Seins würde sich immer daran erinnern, worauf sie einen winzigen Augenblick lang einen Blick werfen durften.
    Also ruf ihn, dachte Mally und beobachtete Ali. Laß ihn wieder eine weitere Welt kennenlernen. Laß ihn frei herumschweifen, so daß er nicht nur das reflektiert, was in einigen wenigen Seelen zu finden ist, sondern die Wunder der Welt an sich widerspiegelt. Eine Reflexion, die weder schlecht noch gut, sondern nur einfach da ist ...
    Sie umklammerte ihre Knie und schaukelte vor und zurück, glücklich über ihre Leistung. Ich brauchte jemand wie dich, Ali, dachte sie. Schon so lange Zeit. Der Wind der Gegenwelt blies schon durch deine Seele, lange bevor Old Hornie uns dorthin trug. Hörst du ihn jetzt? Spürst du ihn auf deinem Gesicht?
    Alis Augen waren geschlossen. Mally beugte sich vor und schaute dem jungen Mädchen ins Gesicht. Was magst du in diesem Moment sehen ? fragte sie sich. Sie empfand einen starke Zuneigung für Ali und wollte schon mit ihrer braunen Hand über die blonden Locken des Mädchens streichen, als plötzlich ein kalter Wind über die Kuppe des Wold Hill fuhr. Mally blinzelte, und zwischen diesem kurzen Schließen und Öffnen der Augen war Ali plötzlich verschwunden.
    Mally sprang auf und schaute sich nach allen Seiten um. »Ali!« rief sie. »Ali! Aliiii!«
    Weg, entschwunden wie ein vergessener Gedanke. Unruhig wanderte Mally um das Feuer herum und versuchte mit bebenden Nasenflügeln Alis Witterung aufzunehmen. Old Hornie hatte sie nicht mitgenommen, denn Mally hätte sein Kommen gespürt, hätte lange vor Ali gewußt , daß er hier war. Aber Old Hornie hatte sie nicht mitgenommen nach Irgendwo ...
    Mally jagte durch den Wald zum alten Stein. Sie rannte in halsbrecherischer Eile, sprang über Stock und Stein, wand sich durch Dornen und Dickicht. Sie stürmte auf die Lichtung bei dem alten Stein, doch nur Lewis, Tommy und sein Hund Gaffa waren dort. Kein Old Hornie, keine Ali - obwohl Mally sie dort auch nicht vermutet hatte.
    Bei Mallys plötzlichem Auftauchen unterbrach Tommy seine Musik.
    »Ist es hier gewesen?« fragte sie und schaute dabei von Lewis zu Tommy. »Ist es gekommen?«
    »Sachte, sachte«, brummte Lewis. »Wovon redest du überhaupt?«
    »Von dem Mysterium. War es hier?«
    Lewis schüttelte den Kopf. »Nein, nur wir sind hier. Außerdem ist es kein Versamm ...«
    Mally wandte sich zu Tommy um und starrte ihn an. Gaffa, der zu seinen Füßen lag, begann zu knurren. »Spiel auf deiner Flöte!« schrie Mally. »Ruf es her! Jetzt, sofort!«
    Tommy sah sie verständnislos an, und welch ein Geist ihn auch beim Spielen beseelte - er hatte ihn längst verlassen.
    »Was ist los, Mally?« fragte Lewis. »Und wo ist Ali?«
    »Sie ist weg!« rief sie. »Verweht wie Rauch ... Man hat sie ...«
    Und dann wußte sie es. »Hast du sie heute abend gehört, Lewis?« fragte sie. »Die Meute - hast du sie gehört?«
    »Für kurze Zeit dachte ich, ich hätte sie gehört - nur ein paar Augenblicke, bevor du hier aufgetaucht bist. Doch sie schien sehr weit weg zu sein, ihr Gebell war sehr schwach.«
    »Dann haben sie sie, sie haben Ali!« Wut glomm in den Katzenaugen des wilden Mädchens auf - auf sich selbst, daß sie die Gefahr nicht bemerkt hatte, und auf die Meute. »Ich hätte bis zur Mittsommernacht warten sollen. Ich hätte es nicht überstürzen dürfen.« Plötzlich sah sie Lewis in die Augen. »Und siehst du, wohin mich das geführt hat? Ich darf froh sein, wenn ich sie

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